Gott schweigt. Der Himmel scheint aus Erz. Eine Herausforderung zum Vertrauen in der Dunkelheit.
Yvonne Schwengeler
13. Februar 2018

Im Bundestag steht ein grauhaariger Mann am Rednerpult. Er hat tiefe Furchen im Gesicht: Elie Wiesel, 83 Jahre alt, Holocaust-Überlebender. Der amerikanische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger spricht am Holocaust-Gedenktag im Jahr 2000: «Nicht einmal Gott, den Gott Israels, schien es zu rühren. Mehr noch als das Schweigen der andern war Gottes Schweigen ein Geheimnis, das vielen von uns rätselhaft bleibt und uns bedrückt bis auf den heutigen Tag. Doch dies ist ein Thema, das wir am heftigsten diskutieren, wenn wir unter uns sind.»

Das Schweigen Gottes. Nicht nur Überlebende des Holocaust, auch viele andere Menschen überall auf der Welt, Christen und Nichtchristen, vom Schicksal gebeutelt, fragen sich: «Wo ist Gott? Warum schweigt er?» Es sind die Kernfragen an den Glauben im Sturm des Lebens. Im Grunde besteht das, was uns am meisten quält, gar nicht in schwierigen Lebenslagen, in körperlichen Schmerzen oder auch in grossen Katastrophen, die über unser Leben hereinbrechen; es ist vielmehr das Gefühl der Gottverlassenheit, das peinigt.

Die Frage nach dem Schweigen Gottes ist nicht neu. Das war schon im Alten Testament bei den Psalmisten ein Hauptthema: «Bis wann, Herr, willst du mich für immer vergessen? Bis wann willst du dein Angesicht vor mir verbergen?» (Psalm 13,2). Diese dunkle Nacht der Seele ist eine Erfahrung im Leben jedes Gläubigen. Das finstere Tal ist keinem von ihnen fremd. Diese Lieder der Klage entspringen der Trauer über eine aus den Fugen geratene Welt. Und trotzdem – beim Studium der Psalmen lesen wir nirgendwo, dass der Psalmist deswegen Gott das Vertrauen aufkündigt. Und Jesaja sagt, dass man einen gottesfürchtigen Menschen daran erkennt, wie er sich verhält, wenn es dunkel um ihn wird (Jes. 50,10).

Früher redete Gott durch die Propheten zum Volk. Aber nach dem Propheten Maleachi kamen 400 lange Jahre des Schweigens Gottes. Auch Hiob, der das Prädikat «fromm» im guten Sinn erhielt, fühlte sich von Gott verlassen. Er verlor alles: Kinder, Gesundheit, Hab und Gut.

Auch Mose musste das Schweigen Gottes ertragen. 40 Jahre lang stellte ihn Gott auf die Seite. Wir können das Leben früherer Glaubenshelden gleichsam aus der Vogelperspektive betrachten. Wir kennen bei Hiob und auch bei Mose den Grund für das Schweigen Gottes. Doch ein Mensch heute, der leidet, steht mittendrin. Er weiss nicht, wie es weitergeht, wo es endet. Gerade deshalb kann uns die Geschichte von Mose helfen, zu begreifen, dass Gott immer da ist und niemals die Kontrolle verliert. Er sieht das Herz, das sich nach ihm sehnt und bereit ist, auf ihn zu hören.

Mose hütete die Schafe seines Schwiegervaters Jethro. Dabei trieb er sie auch in die Nähe des Berges Horeb, dem sogenannten Gottesberg. Mose war nicht immer in der Wüste gewesen. Er war der Sohn eines Leviten, in Ägypten geboren. Damals drohte der Pharao, alle israelitischen Neugeborenen umzubringen. Deshalb hatten seine Eltern ihr Baby im Glauben ausgesetzt. Die ägyptische Königstochter hatte Mose gefunden und ihn am Königshof wie einen eigenen Sohn aufgezogen. Mose hatte die Not seines Volkes unter der Herrschaft der Ägypter hautnah miterlebt. Um einem Landsmann zu helfen, erschlug er einen Ägypter und musste fliehen. So kam er nach Midian, heiratete und wurde Schafhirte.

Das ist die Vorgeschichte. Mose lebte 40 Jahre als Fremder in Midian. Obwohl er eine Familie hatte, fehlte ihm etwas Grundlegendes: Gott schwieg. Warum? Mose hatte seinem Volk aus eigener Kraft heraushelfen wollen, ohne auf Gottes Weisung zu warten. Er lud Blutschuld auf sich, obwohl er sich für einen Schwächeren gewehrt hatte. Mose wurde nicht aus Eigennutz zum Mörder, aber er pfuschte Gott mit seinem eigenmächtigen Tun ins Handwerk. 40 Jahre, ein halbes Leben, hatte der Herr Mose beiseitegestellt, um ihn brauchbar zu machen für den Auftrag, den er für ihn vorgesehen hatte, nämlich sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens herauszuführen. Solange sich Mose auf seine eigene Kraft verliess und in eigener Regie handelte, war er unbrauchbar für Gott. Deshalb musste er ihm die eigene Macht aus der Hand nehmen. Erst als ihm – der am Königshof eine exzellente Ausbildung genossen hatte – nichts anderes geblieben war, als Schafe in der Wüste zu hüten, begann Gott zu reden. Da wurde aus dem Macher Mose der Hörer. Und dieses Hören zeichnete sein Leben später aus. Er hattedie grundlegendste Lektion in der Erziehungsschule Gottes gelernt.

Vielleicht gleicht dein Leben als Christ einer Wüstenwanderung. Das lebendige Wasser, die Quelle, scheint versiegt. Du lebst dein Christenleben ohne Freude, ohne Motivation. Und du fragst dich: Ist alles nur ein Trug? Verspricht uns der Herr nicht Leben im Überfluss, Frieden und Erfüllung? Weshalb ist das bei mir nicht Realität?

Vielleicht müssten wir uns erst einmal fragen: Wo habe ich die Weichen selbst gestellt? Bei der Berufswahl? Bei der Arbeitsstelle? Der Wahl des Ehepartners? Sind uns unsere Hobbys vielleicht wichtiger als ein Dienst in Gottes Reich? Die eigenwilligen Wege können ein Grund dafür sein, dass wir Seine Stimme nicht mehr hören.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 02/2018.