«Das Leben ist wirklich ein Zoo!» Gary Richmond, viele Jahre Tierpfleger und rechte Hand des Tierarztes im Zoo von Los Angeles, sowie Pastor und Seelsorger, weiss, wovon er spricht.
Gary Richmond
25. Juli 2016

Es wollte mir nicht einleuchten: Die Diebe waren frei, und die gestohlenen Vögel steckten im Gefängnis. Das wird auch Ihnen unbegreiflich sein. Ich will es erklären:

Während der ersten Zeit meiner Anstellung in der Zooklinik versorgte ich eine ganze Voliere mit Rotschwanzbussarden. Es waren 15 Vögel, die in einem erbärmlich kleinen Käfig zusammengepfercht waren. Meiner Meinung nach sahen sie richtig bedrückt aus. Ich erkundigte mich, warum wir 15 Rotschwanzbussarde versorgten und ihnen keinerlei Flugmöglichkeit boten. Die Antwort liess mich erschauern.

Oberwärter Johnny Torres – ein ganz jovialer Mexikaner – erklärte mir: «Nun ja, diese Bussarde sind Beweismaterial für eine Gerichtsverhandlung. Sie wurden illegal gefangen, und wir halten sie so lange hier, bis die Burschen verurteilt sind.»

«Und nach den Gerichtsverhandlungen, was geschieht dann mit den Tieren?», fragte ich weiter.

«Das weiss ich nicht», antwortete er. «Wir erfahren sowieso nichts. Einige Vögel sind schon sehr lange hier. Wir wissen auch gar nicht, welcher Vogel zu welchem Gerichtsverfahren gehört. Wahrscheinlich werden sie auch hier sterben.»

«Das ist doch komplett sinnlos!», protestierte ich.

«Richmond, wer hat dir das Märchen erzählt, dass hier etwas sinnvoll ist? Du solltest nicht zu viele Fragen stellen. Die Freunde in der Verwaltung schätzen solche Probleme nicht. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Vergiss es!»

Ehrlich gesagt, es ist nicht meine Art, Dinge unter den Teppich zu kehren. Die Armen, die Kinder und die Tiere brauchen unsere Hilfe, und das hier war schlicht und einfach Unrecht. Die Wilddiebe waren – bis zur Verurteilung – auf freiem Fuss und die Opfer wurden bestraft.

Ich forschte vorsichtig weiter nach und kam zu der Überzeugung, dass die Tiere in Not geraten waren. Niemand kümmerte sich um ihre prekäre Lage. Der Amtsschimmel, der Abhilfe schaffen konnte, trabte träge und schwerfällig dahin, und niemand konnte ihn beschleunigen.

Es blieb nur ein Ausweg: Die Vögel mussten «versehentlich» freigelassen werden. Wenn ungefährliche Tiere durch die Unachtsamkeit eines Wärters ausbrachen, gab es in der Regel nur einen Aktenvermerk. Bisher hatte ich noch keinen in meinen Unterlagen. Dieser Preis schien mir ausserdem sehr gering, wenn ich damit das Unrecht in Bezug auf die Bussarde beseitigen konnte.

Ich beschloss, sie an einem Dienstagnachmittag freizulassen, wenn die Aufseher zur Konferenz über Tiergesundheit zusammenkamen. Dann waren sie für etwa zwei Stunden ausser Reichweite. Ich hatte also reichlich Zeit, meine Mission zu erfüllen.

Der Dienstag kam, und die Aufseher verschwanden aus dem Klinikbereich. Ich ging zur Voliere, löste den Riegel und liess die Tür weit offen. Vorsichtig sah ich mich um: Niemand war in Sicht. Ich huschte ins Gesundheitszentrum zurück und machte mich mit einem tiefen Gefühl der Genugtuung wieder an meine Arbeit. Rundum fühlte ich mich zufrieden. Leider nicht sehr lange ...

(Artikelauszug aus ethos 07/2016)