Warum das Leben auf dieser Welt nicht alles ist.
Yvonne Schwengeler
13. April 2021

Die Sonne lacht, kein Wölkchen trübt das Blau des Himmels. Auch die Leute lachen, tippen sich an die Stirn und sagen: «Der Noah – der spinnt! Baut jahrzehntelang an diesem riesigen Kasten und redet bei strahlendem Sonnenschein von Gottes Gericht! Predigt Busse. Lädt uns ein in dieses sonderbare Schiff. Alles Fake News! Der Mann gehört eingesperrt. Kommt, lasst uns essen, trinken und fröhlich sein!»

Und während sie noch lachen und feiern, beginnt es zu regnen. Noah, seine Familie und die vielen Tiere gehen hinein in die Arche, und Gott selbst schliesst hinter ihnen zu. Da lachen die Leute noch mehr: «Wird ganz schön eng werden in dem Kahn, eng und stickig. Stellt euch das mal vor! Ausgeschlossen von Freiheit und vom Leben. Armer, verrückter Kerl!»

Der Regen wird stärker, anhaltend. Das Wasser steigt, wird zur Flut und reisst die Menschen mit sich fort. Der Spott versiegt. Die lachenden Münder formen sich zu Schreien der Angst und Verzweiflung, bis sie schliesslich verstummen.

Noah aber schaukelt, geborgen in seinem Schiff, einer gewissen Zukunft entgegen. Als er wieder Land unter seinen Füssen spürt, baut er als Erstes dem Herrn einen Altar und betet ihn an.

Dem Leben entfremdet

Ganz am Anfang der Bibel lesen wir, dass sich die beiden ersten Menschen, als sie Gottes Gebot übertreten hatten, plötzlich ihrer Nacktheit bewusst waren. Vor Gott und voreinander blossgestellt, schämten sie sich. Verzweifelt versuchten sie, ihre Blösse mit Blättern zu bedecken. Aber diese eigenen, selbstgebastelten Kleider täuschten nicht über das hinweg, was darunter lag: der Mensch im Widerspruch zu seinem Schöpfer, gefallen – Gott, sich selbst und dem Nächsten entfremdet, dem Sinn seines Daseins beraubt. Seither ist der Mensch ruhe- und friedlos. Und alle Idealisten, Moralisten und Revolutionäre hatten und haben kein wirksames Rezept oder Heilmittel gegen die Zerrissenheit des Herzens, gegen die Angst vor dem Leben und dem Sterben.

Wir tragen die Ideale in uns und können sie trotz aller Anstrengung nicht erreichen. Wir reden vom Frieden in der Welt und versagen selbst in unseren engsten Beziehungen. Der Drang, gut zu sein, steht oft im Widerspruch zu der Ichsucht, den eigenen Interessen. Es gibt keinen, der die Zerrissenheit des Herzens nicht selbst erleidet und auskämpft. Man versucht’s mit Kompromissen, dem Gleichgewicht der Waffen, aber diese Versprechen sind leer und brüchig. Vielleicht gut gemeint, aber nicht realisierbar. Die Sehnsucht, der Traum von der Vollkommenheit und von Gerechtigkeit tragen wir tief in uns. Viele sind daran verzweifelt, ja zerbrochen. Denn die Wirklichkeit in und um uns zeigt ein anderes Bild: Lieblosigkeit, Ungerechtigkeit, Egoismus und Gemeinheit. Das Zusammenleben kann Freude und Schmerz, Wonne und Qual, Heilung und Verletzung, Geborgenheit und Einsamkeit, Traum und bitteres Erwachen sein.

Wir leben in einer Zeit der Erschütterungen, Krisen und Bedrohungen. Normen und Massstäbe, die über Jahrhunderte gültig waren, haben ihre Bedeutung verloren. Unsicherheit und Ängste treiben die Menschen um.

Von Goethe wird berichtet, dass er eines Tages, als er Bilanz über sein Leben zog, auf ein Blatt Papier schrieb: «Ach, ich bin des Treibens müde, was soll all der Schmerz, die Lust! Süsser Friede, süsser Friede, komm, ach komm, in meine Brust.»

Seine Tränen tropften auf das Papier. Dann ging er in den Wald und lief ruhelos umher. Eine Bekannte betrat sein Arbeitszimmer, sah den Zettel und schrieb darunter:

"Meinen Frieden gebe ich euch, euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Johannes 14,27"

Es ist das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium an seine Jünger. Aber, und das darf man nicht ausser Acht lassen, seine Verheissung hatte eine Vorgeschichte.
                                                                           
Tot oder lebendig?

Blaise Pascal bringt unser Problem auf den Punkt: «Das Wissen von Gott ohne Kenntnis unseres Elends zeugt den Dünkel. Das Wissen unseres Elends ohne Kenntnis von Gott zeugt die Verzweiflung. Das Wissen von Jesus Christus schafft die Mitte, weil wir in ihm sowohl Gott als auch unser Leben finden.»

«Aber wir leben doch, unser Herz schlägt und wir atmen, auch ohne Christus», mögen Sie einwenden. «Unsere Haut fühlt sich warm an, lebendig. Auf dem Friedhof, dort sind doch die Toten!»

Gott zeichnet in seinem Wort ein ganz anderes Bild. Klar und unmissverständlich heisst es da: «Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben, wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.»

«Wer den Sohn Gottes nicht hat», sagte Siegfried Kettling anlässlich eines Vortrags, «ist tot bei blühender Gesundheit, bei höchster Vitalität und Potenz, bei tadellos funktionierendem Kreislauf. Er ist in seiner Person tot, ist in seinem Wesen ein ‹Individualtoter› bei überlebenden Organen ... Dann gibt es Menschen, die (medizinisch gesehen) absolut tot sind, Menschen, die seit Jahrzehnten draussen auf dem Friedhof liegen, zerfallen im Grab, verwest – und sie leben! Quer durch den Saal und quer über den Friedhof läuft die vor Gott alles entscheidende Linie, die Grenzscheide der Ewigkeit. Da muss unsere alles entscheidende Grundfrage doch heissen: Lebe ich überhaupt? Oder bin ich gar mit all meiner Lebendigkeit bei Gott ein Toter?»

Warum sterben wir eigentlich?

Der Mensch ist beim Sündenfall gestorben, weil der Geist Gottes von ihm ausgezogen ist. Seitdem war und ist er sich selbst überlassen (Röm. 1). Er verlor nicht nur die Geborgenheit bei seinem Schöpfer, sondern lebt seither auch nicht mehr im Einklang mit sich selbst und mit der Natur. Von Angesicht zu Angesicht mit dem Schöpfer, völlig angstfrei, so war der Mensch gedacht und gemacht. Aber er erhob sich, wollte sein wie Gott und verlor dabei alles. Er wählte das verlockende Leben jenseits von Eden, wo er, herausgefallen aus der Harmonie, ein Heimatloser geworden ist. In dem Augenblick, als Adam und Eva die verbotene Frucht assen, begann der Tod sein Zerstörungswerk in ihnen. Sie waren von nun an Sterbende, dem Tode verfallen. Gott der Herr gebot den ersten Menschen: «Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm issest, musst du des Todes sterben» (1. Mose 2,16–18; Die Mär vom Apfelbaum, dessen schönste Früchte dem Menschen aus reiner Schikane vorenthalten wurden, geistert leider noch immer in den Köpfen herum, obwohl davon nichts in der Bibel steht!). In dem Augenblick, als Adam und Eva aus dem Paradies gewiesen wurden, erfuhren sie:

«Der Tod ist der Sünde Lohn» (Römer 6,23).

Damals begann ihr Ringen mit dem Tode, dem sie und ihre Nachkommen verfallen sind. Der Tod ist ein Prozess. Die Kraft lässt nach, die Zähne verfallen, das Haar wird grau, die Augen werden trüb. Adams Sterben nahm seinen Anfang am Tage des Ungehorsams, auch wenn die Trennung von Seele und Leib bei ihm erst 930 Jahre später stattfand. Wir leiden an einer tödlichen Krankheit, die Sterblichkeit heisst, und die Sterblichkeitsrate liegt bei 100 Prozent.

Adam starb zweimal, den geistlichen und den leiblichen Tod. Sein sündiger Selbstwille hatte diese Trennung bewirkt. Und so steht heute noch der schuldige, unbussfertige Sünder vor Gott. Er ist völlig von Gott getrennt, kann seine Wirklichkeit nicht erfassen. Jemand beschrieb dies einmal mit diesen Worten: «Halte dem Auge eines Toten das schönste Bild hin, rufe ihm die lieblichsten Worte ins Ohr, da ist kein Vernehmen. Er ist tot. Der Sünder sieht nicht die Schöpfungsherrlichkeit, die ihm Gott, der Schöpfer, zeigt. Die wunderbare Liebe, die Gott auf Golgatha offenbarte, vernimmt seine Seele nicht. Er findet keine Schönheit an dem Herrn der Herrlichkeit, dass ein Verlangen nach Ihm erweckt wird. Er ist Gott gegenüber tot. Tot in Übertretung und Sünden. Dieser Tod ist eine schreckliche Wirklichkeit, die in dem leiblichen Tode den sichtbaren Ausgang findet.»

Gottes suchende Liebe

Nur wenn wir unsere Verlorenheit sehen, strecken wir uns nach einem Retter aus. Nur wenn der Mensch umkehrt zu Gott, findet er Frieden.

«So spricht der Herr, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich lehrt, was dir hilft, und dich leitet auf dem Weg, den du gehst. O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen ... Aber die Gottlosen, spricht der Herr, haben keinen Frieden» (Jes. 48,17+18.22).

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 04/2021.