Claudia: Mit meinem Zeugnis möchte ich aller Welt sagen: «Was bei Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich» (Luk. 18,27). Ich musste ein tiefes Leidenstal durchwandern, dämonische Abgründe miterleben und kannte nur Schmerz, Schuld und Angst. Aber es gibt nichts, worüber Jesus nicht Sieger ist. Kein Fall, so schwer er auch gelagert sein mag, ist ausserhalb seiner Reichweite. Er hat mich buchstäblich aus der Hölle gerettet, in die ich hineingeboren wurde. Dafür kann ich ihm nie genug danken, aber es aller Welt bezeugen, dass Jesus lebt und frei macht. Wenn ich hier von mir erzähle, dann nicht, um den Leser zu schockieren, sondern um zu zeigen, dass Gott sogar ein völlig zerstörtes Leben zum Guten führen kann.
Daniela Wagner
2. Mai 2020

Wie sah deine frühe Kindheit aus?

Die ersten vier Lebensjahre wohnte ich mit meinen Eltern und meinem zwei Jahre älteren Bruder in Hessen. Die Erinnerungen gehen zurück bis ins Alter von etwa drei Jahren. Bereits da wurde ich von meinem Vater und seinen Freunden sexuell missbraucht und musste zusehen, wenn er meine Mutter verprügelte und sie vergewaltigte.

Als ich vier war, holte mein Grossvater uns zu sich nach Augsburg, aber auch da hörte die Gewalt nicht auf.

«Familie» ist für dich kein Wort, das für ein geborgenes Miteinander steht. Wie sah euer Alltag aus?

Die «Familie» gehörte einem satanischen Kult an. Er ist religiös motiviert, statt Gott wird dort Satan angebetet. Die Versammlungen sind von Ritualen geprägt, die Organisation streng hierarchisch strukturiert. Die führenden Mitglieder unterhalten enge Kontakte zu Kulten und Geheimlogen ähnlicher Art im In- und Ausland. Viele davon sind in Prostitution, Kinder- und Drogenhandel sowie im gewalt- und kinderpornografischen Bereich tätig. Ihr Einfluss ist gross: Geld, Macht und sexuelle Perversion schaffen die Grundlage für die Zusammenarbeit. Kindern, so auch mir, wird von klein auf vermittelt, dass der Kult, der bei uns «Familie» hiess, die höchste Instanz ist. Durch unterschiedliche Foltermethoden wie zum Beispiel Stromschläge, wiederholter Vergewaltigung und Nahtoderfahrungen wird man zu absolutem Gehorsam und zum Dienen erzogen. Es ist erbarmungslos. Das Schlimmste daran ist die Hoffnungslosigkeit, dass es kein Ende gibt. Meine Mutter verkaufte mich an Männer. Sie holten mich ab und brachten mich am nächsten Morgen wieder zurück. Betäubungsmittel liessen mich die langen Autofahrten oft nur im Halbschlaf mitbekommen. Lange habe ich mir eingeredet, dass meine Mutter nicht genau wusste, was dort geschah. Ich war der Überzeugung, es gehört eben zum Leben dazu oder ich habe es nicht anders verdient.

Mit fünf Jahren redete ich kaum mehr und wenn, dann stotterte ich stark. Das bereitet mir bis heute Probleme. Aber in den letzten Jahren durfte ich viel Heilung erfahren. Ich hatte keine Freunde, fehlte aufgrund von «Krankheit» sehr oft in der Schule und man erfand alle möglichen Ausreden für mein Fernbleiben. Wenige Male dachte ich, jetzt hätten die Lehrer doch etwas merken müssen, aber leider bekam ich auch von hier keine Hilfe. Ich wurde so erzogen, nicht aufzufallen, unsichtbar zu sein ... Wenn jemand etwas merkte, wurde ich dafür bestraft, es war meine Schuld. Noch heute kommt bei mir Stress auf, wenn ich durch irgendetwas die Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Deshalb fällt es mir auch schwer, mit dem Mitgefühl anderer umzugehen.

Einmal gab es im Kindergarten einen Vorfall. Ich war ohnmächtig geworden, die Kindergärtnerin rief zu Hause an und fragte, ob ich nicht genug Schlaf kriege. Zuhause wurde ich dafür verprügelt. So lernte ich, um keinen Preis aufzufallen, auf keinen Fall Schmerzen zu zeigen, so zu leben, dass erst gar keine Fragen aufkamen.

Was ging bei all diesen Gräueltaten in dir vor? Wie hält man so etwas aus?

Für mich war das Leben Schmerz, Missbrauch war «normal». Meine Welt war in Klassen aufgeteilt. Ich gehörte zur unteren Klasse.

Meine grösste Angst war, bei den Quälereien sterben zu müssen, denn ich hatte panische Angst vor dem Tod und dem, was danach kam. Ich würde in die Hölle kommen, das war der absolute Super-Gau. Deshalb half ich mir in meiner Angst, indem ich mir einredete, man könne an Schmerzen nicht sterben. Keine Ahnung, weshalb – und es stimmt ja theologisch nicht –, aber ich hatte dann stets Jesus vor Augen und dachte, dass er ja an den Schmerzen auch nicht gestorben sei.

Doch nach einem unglaublich schrecklichen Vorfall, ich war damals elf, wollte ich nur noch weg, egal, wie und wohin. Ich fühlte so eine grosse Ohnmacht über das Schlimme, das passiert war, ... dass man es nicht verhindern kann ... und es immer wieder passiert.

Gelang dir die Flucht aus dem Horror?

Ich lernte Leute kennen, die Drogen konsumierten und mich akzeptierten, wie ich war. Auf der Strasse fühlte ich mich sicherer als zu Hause, wo «sie» jederzeit kommen konnten. Dass Drogen süchtig machen und gefährlich sind, wusste ich, aber es war für mich wie ein Ausweg aus dem Horror: So konnte ich vergessen, spürte keine Schmerzen mehr und ein wohliges Gefühl durchzog meinen Körper. Ich empfand so etwas wie Geborgenheit.

Nach einem längeren Aufenthalt in einer Kinderpsychiatrie, in die ich eingewiesen wurde, weil ich nach einer Überdosis Suizidgedanken äusserte, wurde ich in einer heilpädagogischen Jugendwohngruppe untergebracht. Nachts plagten mich Albträume, ich schlief wenig und tagsüber hatte ich oft schlimme Angstzustände und fühlte mich innerlich total zerrissen. Ich versuchte damit umzugehen, indem ich mich selbst verletzte. Mit der Selbstverletzung hatte ich schon sehr früh begonnen. Die Wärme, die durch die Wunden entstand, holte mich kurz aus der inneren Kälte raus. Das tröstete mich und ich fror nicht mehr so stark.

Auch hier waren Suizidgedanken immer wieder ein Thema. Die Gespräche mit einer Psychologin waren nicht sehr effektiv, denn die jahrelange Folter hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, hatte ich doch von klein auf das Schweigen gelernt. Auch der Kontakt zur «Familie» bestand weiter. Mein Onkel stellte sich den Betreuern vor, und ich musste in den Ferien zu ihm fahren. Woher hätten sie auch wissen sollen, was da passierte? Ich konnte ja nicht darüber reden! Die Erfahrungen dort und auch die Besuche bei meiner Mutter bestätigten mir einmal mehr, dass die «Familie» über allem stand und es keinen Ausweg gab.

... und damit auch kein normales Leben ...

Mit 19 schloss ich trotz Drogensucht meine Ausbildung als Bürokauffrau ab, galt aber beim Jugendamt als «nicht therapierbar». Die Drogen halfen mir, den Alltag durchzustehen, und gaben mir ein Gefühl der Stärke und Geborgenheit. Ich hatte eine Wohnung, eine Arbeit und schaffte sogar den Führerschein. Auch machte ich viele Überstunden, denn sobald ich allein war, ergriff mich Panik und ich konnte nur mit starken Beruhigungsmitteln einschlafen. Tagsüber nahm ich Aufputschmittel, um Leistung zu bringen.

Nach weiteren Tiefschlägen war ich mit Anfang 20 obdachlos. Ich hatte mich aufgegeben, schlief in Tiefgaragen, auf Heizungsschächten oder in Notschlafstellen. Um meine Drogensucht zu finanzieren, ging ich der Prostitution nach. Schliesslich liess ich mich mit Methadon substituieren. Trotzdem änderte sich an meinem Lebensstil nichts, im Gegenteil: Zusätzlich zu den Medikamenten trank ich Alkohol – es gab kaum noch nüchterne Phasen. Immer häufiger lag ich mit einer Überdosis im Krankenhaus. Es war mir auch egal, ob ich wieder aufwachte. Mehrmals drohten mir die Ärzte mit Zwangsentzug und geschlossener Unterbringung.

Doch Gott griff in dein Leben ein …

In der Drogenszene in München fielen mir Leute auf, die belegte Brötchen, Kaffee und Bücher verteilten. Die waren als «die Christen» bekannt. Als mir einer erzählte, dass Jesus jedem helfen könne, dachte ich: «Den anderen schon, aber mir nicht. Wenn der meinen Lebensstil kennen würde, hätte er bestimmt keine Lust mehr, mit mir zu reden.» So überraschte es mich, dass ich immer wieder zum Abendessen in die Gemeinderäume eingeladen wurde. Als ich mich schliesslich einmal traute, hinzugehen, spürte ich eine mir unbekannte Wärme. Am meisten beeindruckte mich aber, wie die Christen die «fertigsten» Leute mit Achtung behandelten, auch mich. Trotzdem schien mir das alles nicht ganz geheuer. Meiner Meinung nach waren alle Menschen berechnend, niemand gab etwas ohne Gegenleistung. Zudem war mir beigebracht worden, dass Christen lächerliche, naive Figuren sind und Luzifer stärker sei als Gott. Aber diese Menschen erzählten mir viel von Jesus und begannen, mit mir die Bibel zu lesen. Immer noch war ich überzeugt, mir könne niemand helfen. Das Leben wurde immer unerträglicher. Damals bat ich Jesus zum ersten Mal um Hilfe.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 05/2020.