Im Krieg aufgewachsen, wird Theodor Rehm durch traumatische Erlebnisse zum Stotterer. Dennoch wird er Prediger und sieht sich als ein von Gott reich Beschenkter.
Timo Roller
14. August 2017

1937 geboren in Deutschland, erlebten Sie noch den Zweiten Weltkrieg mit. Wie sah Ihre Kindheit aus?
Theodor Rehm: An das Marschieren zu Hitlers Geburtstag am 20. April und an die Tiefflieger erinnere ich mich sehr genau. Der Bunker war noch nicht fertig, wir drängelten uns in die Baustelle hinein, nur das Nötigste unter den Arm geklemmt. Jedes Mal stellten wir uns die bange Frage: Lassen die Flugzeuge Bomben auf uns fallen? Das Nachbarhaus meiner Grosseltern war getroffen worden und niedergebrannt. Am Morgen nach einer angstvollen Nacht wurden meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich mit dem Lastwagen unserer Firma zum Bahnhof gefahren, an rauchenden Trümmern vorbei. Von dort ging es zu unserer Oma nach Pfullingen (Grossraum Stuttgart). Wir hofften, dass es in dieser kleinen Stadt ruhiger und sicherer als zuhause in Fellbach sein würde.

Inwiefern hat Sie dieses Erleben geprägt?
In unserer Firma hatten wir während des Krieges Geschosskörbe herstellen müssen – die Angst war unser ständiger Begleiter. Als der Krieg zu Ende war, kamen die Soldaten mit traurigen Gesichtern in die Heimat zurück. Junge Leute von der Hitlerjugend wollten die Kapitulation nicht wahrhaben und versuchten, die anrückenden Siegermächte mit Panzersperren zu blockieren. Einige Eltern entfernten jedoch die Sperren und hängten weisse Leintücher als Zeichen der Kapitulation raus. Die Panzer rollten über die Bundesstrasse und Hausdurchsuchungen folgten. Zu der Zeit weilte mein Vater mit gebrochenem Oberschenkel im Krankenhaus. All das hinterliess Spuren und meine Mutter wurde seelisch krank. Meine ältere Schwester musste über viele Jahre für die ganze Familie sorgen. Dies alles hat natürlich auch mich geprägt, ich begann zu stottern.

Die Schrecken des Krieges liessen Sie zum Stotterer werden. Was für Auswirkungen hatte diese Sprachstörung auf Ihr Leben?
Als Stotterer steht man am Rande der Gesellschaft, spielt sozusagen die dritte Geige! Ich wurde zwar nicht gehänselt – da hatte eigentlich jeder sein Päckchen zu tragen nach dem Krieg –, dennoch zog ich mich zurück.

In der Schule kam ich problemlos mit und schrieb gute Noten. Eine liebe Lehrerin nahm sich meiner an, um mit mir das Sprechen zu üben, mit bescheidenem Erfolg.

In unserem Ort an der Lutherkirche hatten wir aber einen Pfarrer, der ein Stotterer war wie ich. Beim Predigen sprach er ganz langsam und deutlich, Wort um Wort, und dann stotterte er nicht. Dadurch ermutigt, versuchte ich es auch. Mit dieser Methode machte ich Fortschritte, ganz weg war das
Stottern aber nicht.

Mit 14 Jahren begann ich eine Lehre als Schreiner im 200 Kilometer entfernten Friedrichshafen am Bodensee. Ich suchte am neuen Ort Anschluss und trotz des Stotterns wurde ich gut aufgenommen.

Heute merkt man kaum noch etwas davon. Wie konnten Sie das Stottern – und auch die seelischen Nöte – überwinden?
Mein ältester Bruder wurde Verwalter auf einem Obstgut und meinte, ich könnte für ihn Obstbestellungen annehmen und ausliefern. So ging ich in unserem Wohngebiet von Tür zu Tür, um nach Aufträgen zu fragen. Ich fand das Vertrauen der Leute und lieferte das Obst aus. Dabei lernte ich, mich zum Sprechen zu überwinden, bekam Übung und mehr Selbstbewusstsein.

Meine Eltern und auch mein Lehrmeister waren Christen. Aber als junger Mensch wollte ich aus dem starren Korsett des Glaubens – so empfand ich es – ausbrechen. Ich suchte «Freiheit» und Spass auf Festen. Doch dann trat mir eines Tages Gott in den Weg: Ein junger Familienvater lud mich in den Jungmännerkreis ein. Trotz Ausreden ging ich hin und lernte Gott dort immer besser kennen. Ich erlebte von andern Christen Annahme und verstand, dass ich von Gott geliebt und wertgeachtet bin – stottern hin oder her. Schliesslich übergab ich ihm mein Leben. Wir lebten unser Christsein sehr ernsthaft und erzählten andern Menschen voller Freude von Jesus. Auf einer Freizeit meinte ein Freund: «Theodor, deine Berufung ist die Mission!» Dann lernte ich meine Frau Irma kennen und 1962 heirateten wir. Mehr als 40 Jahre predige ich nun schon. Das ist eigentlich ein grosses Wunder.

(Artikelauszug aus ethos 8/2017)