Rückblick auf ein langes und erfülltes Leben
Interview: Daniela Wagner
1. April 2024

Lieber Roger, du bist ein vielgefragter Redner und doch nahbar als jemand, der auch über sein Versagen spricht. Doch Demut ist keinem einfach in die Wiege gelegt.

Es ist ein langer Prozess, «dem eigenen Ich» zu sterben. Mit acht Jahren kam ich zum Glauben an Jesus Christus. In der Highschool war ich brennend für Jesus und aktiv im Bibelklub dabei. Wir Kinder besuchten die Dorfschule in einem Indianerreservat, mit nur 220 Schülern in vier Jahrgängen, also sehr dünn besiedeltes Gebiet.

Ich hielt viel zu viel von mir, war sehr stolz und eingebildet. In dieser Zeit kauften sich einige Bauern im Dorf ein billiges Sportflugzeug. Für nur drei Dollar die Stunde konnte ich als Teenager Flugstunden nehmen, denn mein Vater war Mitglied im Club. Am Morgen meines sechzehnten Geburtstags bestand ich die Autoprüfung, und am Abend desselben Tages machte ich meinen ersten Soloflug. Die Tatsache, dass ich zu solchen und anderen Dingen kam, tat mir nicht gut – ich dachte, ich bin weiss nicht wer. Aber dann, mit 17, erlebte ich meine erste Niederlage. Ich wurde gedemütigt, das war sehr beschämend, aber notwendig: Ich verlor die Wahl zum Schulsprecher, zweimal gegen einen Kandidaten, der jedes Wochenende betrunken war.

War für dich klar, dass Gott seine Finger im Spiel hat?

Dieser Tiefschlag hat mich natürlich sehr nachdenklich gemacht. Ich begann, mich mit dem Wort «Demut» zu beschäftigen. In dieser Zeit ermutigte mich jemand, das Johannesevangelium von Kapitel 12 bis zum Ende zu lesen. Wir waren auf einem Familienausflug in den Bergen bei uns im Staat Washington. Als ich zu den Kapiteln 18, 19 und 20 kam, wo Christus an meiner Stelle verhaftet, verhört und grausam getötet wurde (Rogers Stimme ist belegt, als er fortfährt), da brach es aus mir heraus: «Herr Jesus, wenn du alles für mich gegeben hast, möchte ich nichts mehr zurückhalten, du verdienst mein ganzes Leben!»

An diesem Tag fasste ich den Entschluss, von meinem Lebensthron herabzusteigen und Gott die Herrschaft zu übergeben. Kurze Zeit später bekundete ich öffentlich im Gottesdienst, dass ich von nun an Jesus nachfolgen will, egal was es kostet.

Ich hatte mir eingebildet, dass dies der Sterbeprozess sei, aber im Nachhinein sehe ich, dass es erst der Anfang war. Gott hatte noch viele Stationen mit mir vor, wo ich noch mehr meinem «Ich» zu sterben und ihm zu leben hatte. Es war ein Loslassen von den Dingen der Welt, von den Ideen der Welt, und ich erkannte, dass es kein Ereignis war, sondern ein Werdegang.

Ich habe oft versagt, falsche Wege eingeschlagen – aber ich bin nie weggelaufen! Ich fiel in Sünde, kehrte aber immer wieder zum Kreuz zurück. Nie habe ich meine Entscheidung bereut, im Gegenteil, die Liebe Jesu wird mir immer kostbarer.

Grosse Nöte sind in deinem Glaubensleben nicht ausgeblieben ...

Ja, das Schlimmste, was ich durchlebt habe, war in den 80er-Jahren eine Depression, in der ich monatelang täglich gegen Selbstmordgedanken kämpfte. Ich war in Stuttgart in der Gemeindegründungsarbeit tätig. Die Gemeinde wuchs, aber dann passierten unschöne Dinge, es kam zur Spaltung ... Ich sah vor allem mein Versagen, nur die horizontale Ebene. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich die Gemeinde als mein Eigentum betrachtet hatte. Als ich das erkannte, betete ich: «Herr, ich habe meine Hände auf dein Eigentum gelegt, ich schäme mich, bitte vergib mir!» Und er vergab mir vollständig, auf der Stelle. Ich spürte die Vergebung, ich erlebte sie.

Wie?

Die suizidalen Gedanken hörten auf. Ich konnte kaum glauben, dass es vorbei war, es ging mir von Stunde zu Stunde besser. Nichts geht über das Wort Gottes. Ich stürzte mich förmlich in sein Wort, ins Gebet.

Und als ich einige Jahre später in den USA in der Gemeindearbeit wieder eine schreckliche Situation erlebte, konnte ich von dem, was ich gelernt hatte, profitieren.

Ein junger Leiter äusserte sehr schmähende, verletzende Worte über den ältesten Bruder im Team, einen gestandenen Missionar, Jahrzehnte im Dienst in Afrika. Ich war schockiert und bat alle Brüder, nichts von dem, was in den letzten Minuten in diesem Kreis besprochen worden war, zu Hause zu erzählen, nicht einmal dem Ehepartner. Wir beendeten die Sitzung und ich schlug vor, dass wir in der nächsten Woche diese anderthalb Stunden der «Ältestensitzung» dem Gebet widmen sollten, um für das Problem, für die Brüder zu beten und nicht darüber zu philosophieren. Und in der folgenden Woche beteten wir wieder zuerst eine halbe Stunde. Erst nachdem wir zwei volle Stunden miteinander und füreinander gebetet hatten, erst dann sprachen wir darüber. Wir fingen an zu reden, und in fünf Minuten hatten wir die Sache gelöst, ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, worum es ging.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 04/2024