Eine tierische Gesundheitspolizei.
Bioteenie, KLB Verlag
8. Juli 2020

Darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Aegypius monachus oder Mönchsgeier. Viele Menschen haben von uns Geiern keine gute Meinung. Dabei kennen uns die meisten gar nicht. Das finde ich ganz schön ungerecht. Man hält uns für Todes- und Unheilbringer, was wir gar nicht sind. Denn wir beseitigen lediglich das, was nach dem Tod von einem Tier übrigbleibt. «Wie die Geier» – diesen Spruch hört man oft, wenn Menschen sich gierig auf etwas stürzen. Dabei erfüllen wir Geier lediglich unsere Aufgabe, wenn wir uns über einen Kadaver hermachen. Und das muss nun mal schnell gehen.

Stirbt ein Tier durch eine Krankheit, ist höchste Eile geboten. Denn die Krankheitserreger können den Boden und das Grundwasser verseuchen. Oder ein anderes Tier frisst etwas vom Kadaver und steckt sich an. Dadurch verbreiten sich die Krankheitserreger immer weiter. Auch Keime, die durch die Verwesung entstehen, sind für andere Tiere sehr schädlich. Daher hat unser Schöpfer uns die Aufgabe gegeben, tote Tiere zu beseitigen. Dadurch verhindern wir, dass sich andere Tiere anstecken und die Krankheiten sich noch mehr verbreiten. Ohne uns würden die Kadaver viel länger herumliegen, bevor sie ganz verwest sind.

Supermagen

Wahrscheinlich fragst du dich, warum wir uns nicht anstecken, wenn wir ein totes Tier fressen. Es ist wirklich erstaunlich: Die gefährlichsten bakteriellen Keime wie etwa Milzbranderreger oder Tollwut können den Geiern nichts anhaben. Möglich macht es ein besonderes Verdauungssystem. Unsere Magensäfte sind so sauer, dass alle Keime abgetötet werden. Im Magen löst sich alles wie in einem Säurebad auf. Dazu kommt, dass es im Geierdarm nur eine geringe Bakterienvielfalt gibt. Menschen haben über 1000 Bakterienarten im Darm, Geier nur 76. Darunter aber viele der bekannten gefährlichen Bakterien. Doch wir bekommen davon keine Bauchschmerzen. Die Bakterien helfen uns vielmehr, die Kadavernahrung in Nährstoffe aufzuspalten.

Augen wie ein Adler

Am Morgen lassen Geier sich von warmen Luftströmen in eine Höhe zwischen 200 und 2000 Metern tragen. Der ganze Himmel ist von Geiern übersät. Unsere kräftigen Flügel, die sehr gut für den Segelflug geeignet sind, erlauben uns, lange Zeit und längere Strecken zu fliegen. Von oben halten wir Ausschau nach Tierkadavern. Mit unseren scharfen Augen können wir aus grosser Höhe selbst kleinstes Aas erkennen. Zum Beispiel sehe ich problemlos aus 1500 Metern Höhe eine kleine Maus. Grössere Kadaver erkenne ich sogar aus einigen Kilometern Entfernung.

Perfektes Teamwork

Am liebsten arbeiten wir im Team. Grössere Gebiete überfliegen wir immer in Gruppen. Dabei beobachten wir nicht nur den Boden, sondern auch uns gegenseitig. Entdeckt ein Geier ein totes Tier, setzt er zum Sinkflug an. Die anderen Geier folgen ihm und kreisen über der Stelle. So verbreitet sich die Nachricht in Windeseile über mehrere Kilometer am Himmel aus und immer mehr Geier sammeln sich um den Kadaver. Ist der Kadaver gross, teilen wir Mönchsgeier uns die Arbeit mit unseren europäischen Vettern, den Gänse-, Bart- und Schmutzgeiern.

In bestimmten Regionen können bis zu sechs verschiedene Geierarten an der Beseitigung eines toten Tieres beteiligt sein. Für einen toten Stier brauchen beispielsweise 70 Geier nur 3 1/2 Stunden. Wenn Geier mit einem Kadaver fertig sind, bleiben in der Regel nur noch Schädel und Hörner zurück.

Lesen Sie die gesamte Tier-Reportage in ethos 07/2020.