Wie ich im Straflager Gott erlebte.
Daniela Wagner
7. April 2018

Nordkorea gilt als eine der schlimmsten Diktaturen der Welt: politische Eiszeit, Gulag und Gefängnis, Spitzel und Verfolgung, Propaganda und Gehirnwäsche. Der Personenkult um den – vor über 20 Jahren verstorbenen – Führer und Gründer der Volksrepublik Nordkorea, Kim Il-sung, verlangt von den Untertanen grenzenlose Unterwerfung und Verehrung. Mittlerweile wird dieses kommunistische Land – in einer Art Erbdiktatur – in dritter Generation von Kim Jong-un regiert. Wenig hat sich geändert.

Die Not im Land ist mit Händen zu greifen. So sind die Erinnerungen an die letzte Hungersnot noch lebendig. Allein drei Millionen Nordkoreaner, so die Schätzungen, sind in den Jahren 1995 bis 2003 verhungert. Generationen von Nordkoreanern verhungern geistlich. Kenneth Bae hat diese Not gesehen und gehandelt. Es sind die Menschen Nordkoreas, die ihm so am Herzen liegen. Kenneth hat mich beeindruckt mit seiner Hingabe, Bescheidenheit und Liebe für die Nordkoreaner.

Manfred Müller, Missionsleiter Hilfsaktion Märtyrerkirche

 

Kenneth, Sie wurden zu 15 Jahren Arbeitslager in Nordkorea verurteilt. Wären Sie nicht US-Staatsbürger, hätten Sie mindestens lebenslänglich, wenn nicht die Todesstrafe bekommen. Wie lautete die Anklage gegen Sie?

Kenneth Bae: Laut meiner Haftakte bin ich ein Terrorist, der wegen umstürzlerischer Umtriebe gegen die Regierung der «Demokratischen Volksrepublik Korea» (auch als Nordkorea bekannt) angeklagt und für schuldig befunden ist. Nach meiner Verhaftung eröffnete mir der nordkoreanische Staatsanwalt, dass ich der gefährlichste amerikanische Verbrecher sei, der in den Sechzigerjahren, seit der Koreakrieg die Teilung der koreanischen Halbinsel zementierte, verhaftet worden war. Ich bin Missionar. Für das Regime dort ist ein Missionar das Gleiche wie ein Terrorist, die beiden Ausdrücke sind austauschbar.

Missionar gleich Terrorist? Wie ist das zu verstehen?

Die Regierung von Nordkorea betrachtet das Evanglium von Jesus Christus als tödliche Gefahr. Sie weiss genau, wenn sie zulässt, dass die Botschaft von Jesus in ihrem Land unter die Leute kommt, wird das gesamte System fallen, und so wurde ich wegen Komplotts zum Sturz der Regierung angeklagt und verurteilt, obwohl ich weder Bibeln verteilt noch evangelistische Gottesdienste gehalten habe. Ich war Missionar in China und brachte Besucher nach Nordkorea, um für das Volk zu beten. Das Land gehört zu einem der am meisten abgeschotteten Länder der Erde. Alles, was die Nordkoreaner kennen und glauben, ist die Propaganda, mit der sie tagaus, tagein im staatlichen Radio und Fernsehen bombardiert werden. Die einzig erlaubte Religion ist die Verherrlichung und Anbetung des Führers, Kim Il-sung.

Wochenlang wurden Sie verhört. Was sagten Sie Ihren Anklägern? Tat man Ihnen Gewalt an?

Gefoltert im eigentlichen Sinne wurde ich nicht. Ich litt aber unter Schlafentzug, Kälte in der Nacht und die Essensportionen waren minimal. Einen Monat lang wurde ich von morgens früh bis Mitternacht befragt. Sie wollten aus mir ein Geständnis herauspressen, wissen, wer mein Auftraggeber sei.

«Gott», erklärte ich ihnen. «Ich bin mit Besuchern hierhergekommen, weil ich das Volk von Nordkorea liebe und wir für es beten wollten. Warum regen Sie sich so auf? Sie glauben doch gar nicht an Gott. Was ist denn so schlimm daran, wenn wir zu einem Gott beten, an dessen Existenz Sie nicht glauben?», fragte ich meinen Verhörer. «Wir haben einen Gott, und sein Name ist Kim ll-sung. Da Sie an einen anderen Gott glauben, sind Sie hierhergekommen, um gegen uns und gegen unseren Grossen Führer zu beten. Das wird unser Land zerstören. Sie kommen hierher mit anderen Christen, erzählen den Menschen von Ihrem Gott und irgendjemand wird Ihre Lügen glauben. Wie ein Virus wird das unser Volk infiszieren. Aus einem Christen werden Tausende. Die Menschen werden den Glauben an den Grossen Führer verlieren. Und das wird das Ende unserer grossen Nation sein.»

Mann, dachte ich. Der hat kapiert, was für eine Macht das Gebet hat. Und dass die Kraft des Evangeliums ein ganzes Land umkrempeln kann. Die alle kapieren das. Darum haben sie solche Angst. Ich bin nicht gefährlich, aber Jesus ist gefährlich. Ich konnte nichts mehr zu meiner Verteidigung sagen. Alles, was er sagte, stimmte ja, ausser, dass mein grosses Ziel der Sturz der nordkoreanischen Regierung war. Ich war nicht dazu gekommen, sondern um den Menschen zu zeigen, dass Gott sie liebte und sie nicht vergessen hatte.

Sicher quälten Sie auch Sorgen und Ängste um Ihre Familie, die Leute der Gruppe – ob sie auch verhaftet worden waren ...

Ja. Ich machte mir Sorgen um die Leute, die ich nach Nordkorea gebracht hatte, und um meine Familie und andere, die durch meine Verhaftung beeinträchtigt sein könnten. Die Nächte waren nicht leicht. Sobald ich die Augen schloss, sah ich meine Frau Lydia und meine Kinder vor mir. Ich hoffte, dass sie in Sicherheit waren, und wollte ihnen sagen, wo ich bin, wie es mir geht. Wie ich sie vermisste!


(Interviewauszug aus ethos 04/2018)