Das meiste, was wir über das Singlesein zu wissen meinen, stimmt tatsächlich nicht. Es wird Zeit, mit einigen weitverbreiteten Missverständnissen aufzuräumen.
Sam Allberry
15. Dezember 2022

Von klein auf werden wir mit der Vorstellung konfrontiert: Auf eine Hochzeit folgt das «Glücklich bis an ihr Lebensende». Den meisten von uns ist bewusst, dass das Leben nicht so simpel ist, trotzdem sind wir als Erwachsene zahllosen Geschichten ausgesetzt, in denen die Hochzeit das Ende und den Höhepunkt darstellt und alle Spannungen auflöst. Hat das Paar endlich zueinandergefunden, ist die Geschichte vorbei. Wenn die beiden vielleicht auch nicht vollkommen glücklich bis an ihr Lebensende sind, dann doch zumindest hauptsächlich.

Ich kenne Paare, deren Ehe am Ende alles andere war als das, was sie erwartet hatten. Eine Frau, deren Mann schon lange arbeitsunfähig ist, sagte mir eines Tages: «Das war nicht Teil des Deals.» Doch, eigentlich schon, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Bei einem anderen Ehepaar hat der Mann aufgrund seines Gesundheitszustandes sehr geschwächte Arme. Er kann sich noch nicht einmal selbst das Hemd zuknöpfen oder gar seine Kinder hochheben – er ist ganz und gar nicht so, wie er als Ehemann hatte sein wollen. Eine Christin aus meinem Bekanntenkreis heiratete einen Nichtgläubigen. Und auch wenn sie das zunächst für unbedeutend hielt, stellte sich heraus, dass es sehr grosse Bedeutung hat. In einem anderen Fall heiratete eine Frau einen Mann, der sich als überzeugter Christ präsentiert hatte, es aber überhaupt nicht war.

Andere Schwierigkeiten haben mit Kindern zu tun. Einige meiner Freunde waren am Boden zerstört von der Nachricht, keine Kinder bekommen zu können. Urplötzlich waren alle Erwartungen, die sie an das Familienleben gestellt hatten, in sich zusammengestürzt.
Oder man hat ein Kind mit einer Behinderung und kennt die quälende Unsicherheit, ob dieses die ersten Tage auf der Welt überhaupt überleben wird. Wieder andere müssen den tiefen Schmerz erleben, zu sehen, wie eins ihrer Kinder in schwere Sünde fällt oder sich komplett vom Glauben abwendet. Eine liebe befreundete Familie hat eine Tochter an Krebs verloren, die andere hat sich umgebracht.

So könnte ich weitermachen. Was ich damit sagen will, ist, dass es für Verheiratete Höhen und Tiefen gibt, die ich als Alleinstehender nie erleben werde. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Natürlich leide ich mit, wenn ich meinen Freunden in einer solchen Zeit beistehe, aber das ist nicht das Gleiche, wie wenn ich diesen Problemen direkt ausgesetzt bin.

Die Versuchung des Vergleichens

Nichts davon soll uns vom Heiraten abhalten oder andeuten, eine Ehe sei ein einziges Trauerspiel. Sie ist ein Geschenk Gottes und darf nicht verachtet werden. Paulus sagt, dass diejenigen, die das Heiraten verbieten wollen, die «Lehren von Dämonen» (1. Tim. 4,1–3) verbreiten. Die Ehe an sich ist gut. Doch wie alles Gute in einer gefallenen Welt ist sie von der Sünde befleckt und nicht ohne Probleme.

Es ist ein Fakt, dass sowohl das Singledasein als auch die Ehe jeweils eigene Höhen und Tiefen haben. Als Alleinstehende geraten wir leicht in Versuchung, die Schattenseiten des Singleseins mit den Höhen des Verheiratetseins zu vergleichen. Und Verheiratete sind versucht, das Umgekehrte zu tun, was genauso gefährlich ist. Die Kirschen in Nachbars Garten sind immer ein bisschen süsser. Das andere wirkt oft viel attraktiver auf uns. Paulus will den Alleinstehenden deutlich machen, dass es bestimmte Täler – «äussere Bedrängnisse» – gibt, die man nur als Verheirateter erlebt und die einem als Single erspart bleiben (vgl. 1. Kor. 7,17 ff.). Die weitverbreitete Annahme, verheiratet zu sein sei besser oder leichter, stimmt einfach nicht. Nach alldem, was ich im letzten Jahrzehnt gesehen habe, muss ich sagen, dass ich jederzeit lieber die Tiefen des Singledaseins ertrage als die der Ehe. Meiner Meinung nach ist unglücklich verheiratet zu sein viel schlimmer als unglücklich alleinstehend.

Doch Paulus spricht nicht nur von den nicht vorhandenen Problemen, sondern auch von bestimmten Möglichkeiten. Das Singleleben besteht nicht nur aus dem, was uns erspart bleibt, sondern auch aus dem, was uns geschenkt wurde.

Unterschiedlicher Blickwinkel

Einmal unterhielt ich mich mit einem verheirateten Freund über eine anstehende Reise. Ich hatte einige Langstreckenflüge vor mir. Bei dem blossen Gedanken daran zuckte er sofort zusammen, worauf ich verblüfft guckte.

«Findest du Flugreisen nicht schrecklich?», fragte er.

«Nein, ich finde es toll. Ich bekomme da viel Arbeit erledigt. All diese ungestörten Stunden. Im Flugzeug kann ich hervorragend studieren und nachdenken.»

«Ach, ich vergesse immer, dass du ja beim Fliegen keine Kinder dabeihast.»

Natürlich ist das ein banales Beispiel, aber es machte mir klar, dass er und ich selbst die profanen Details des Alltags aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Reisen sind für mich Gelegenheiten, vieles erledigt zu bekommen. Er dagegen ist stundenlang damit beschäftigt, energiegeladene kleine Menschen bei Laune zu halten. Überträgt man das auf andere Lebensbereiche, lässt sich erkennen, dass das Leben für mich viel weniger kompliziert ist.

Frei von Gefahren ist dies aber nicht. Paulus geht davon aus, dass wir Singles «für die Sache des Herrn besorgt» sind. Doch das ist für viele von uns ein Kampf.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 01/2023