Auf der ständigen Jagd nach Bedeutung und Anerkennung – dafür ging Pasquale bis ans Äusserste. Durch abgefahrene Graffitis und gefährliche Aktionen verschaffte er sich die Aufmerksamkeit, nach der er sich immer gesehnt hatte. Im Interview mit ethos erzählt Pasquale, weshalb er trotz Ruhm und Berühmtheit leer und einsam blieb.
Daniela Wagner
7. Januar 2021

Pasquale, dein Name ist originell, woher kommst du?

Mein Vater ist Grieche, meine Mutter Sizilianerin. Als Ausländer in Deutschland war für uns vieles schwierig. Meine Eltern waren eigentlich nie da. Beide mussten sehr viel arbeiten, mein Vater hatte gleich mehrere Jobs. In Sizilien hatten sie als Altersvorsorge ein Haus gebaut und schufteten, um die Kredite abzubezahlen. Aber eigentlich hat das unser Familienleben zerstört. Wir drei Kinder – ich habe noch zwei ältere Schwestern – waren uns selbst überlassen.

Schon als Junge musste ich für mich alleine kochen. Bei den Hausaufgaben konnte mir auch niemand helfen; meine Mutter kann nicht lesen und schreiben.

Ich trieb mich viel draussen rum, traf mich mit anderen Jugendlichen an der Bushaltestelle und hing mit ihnen ab. Die Strasse war unser Wohnzimmer. Es tat gut, nicht alleine zu sein. Wir sind auf Baugerüsten rumgeklettert, haben in Läden geklaut und auch sonst so manchen Blödsinn gemacht. Meine Eltern haben nicht mitbekommen, was ich den ganzen Tag trieb. Dass ich immer seltener nach Hause kam, merkten sie kaum.

In Deutschland habe ich mich seit jeher als Ausländer gefühlt; heimatlos, nicht dazugehörend. Es war meine grosse Not, dass ich keine Identität hatte. Immer wieder fragte ich mich: «Wer bin ich eigentlich? Was ist der Sinn meines Lebens?»

In deiner Strasse galt das Recht des Stärkeren ...

Ja. Eigentlich hatte ich keine Lust auf Konflikte, aber in «unserer» Strasse kam es immer wieder zu Eskalationen mit verschiedenen Leuten. Ich konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen, sie wohnten ja auch da. Anfangs beherrschte mich die Angst; ich flüchtete oft vor ihnen. Doch irgendwann beschloss ich, den Spiess umzudrehen: Ich kaufte mir ein Messer, um mich zu verteidigen.

Jetzt war ich nicht mehr das Opfer. Die anderen hatten Respekt vor mir und gingen plötzlich ganz anders mit mir um. Mehr und mehr habe ich mich in die Aggressionen reingesteigert; in mir staute sich die Wut über meine Lebensumstände. Ich war eine tickende Zeitbombe, wenn mir jemand blöd kam, schlug ich zu – ein falscher Blick genügte schon.

Als kleiner Junge war ich oft hilflos gewesen und aufs Übelste zusammengeschlagen worden. Diese Gewalt löste in mir so etwas wie einen Überlebenskampf aus.

Mit 14 rauchte ich meinen ersten Joint – das war hier ganz normal. Dann fing einer der Jungs an, mit Heroin zu dealen, und verseuchte unsere komplette Strasse. Meine Eltern hatten von all diesem keine Ahnung. Wenn sie mal frei hatten, blieben sie unter ihren Landsleuten.

Ich prügelte mich gerne, Gewalt faszinierte mich. Hatte ich jemanden brutal zusammengeschlagen, dachte ich nicht gross darüber nach. Durch die Drogen wird man abgestumpft und gewaltbereit. Es motivierte mich, wenn sich mir alle unterwarfen; wie sich die Atmosphäre veränderte, sobald ich einen Raum betrat. Indem ich Angst verbreitete, fühlte ich mich mächtig.

Ich wollte den Respekt – und den bekam ich dann auch zusätzlich durch die Graffiti-Kunst.

Genau. Du hast dir in der Szene bald einen grossen Namen als Graffiti-Sprüher gemacht.

Es war in der Zeit, als München zur Graffiti-Hauptstadt wurde – noch vor Berlin oder Amsterdam. Auslöser war der Kultfilm «Wild Style». Die Botschaft von Fame und Revolution schlug bei uns Jugendlichen voll ein. Als Reaktion auf den Film fingen viele an, Wände und S-Bahnen zu besprühen. Anfangs ging man mit grosser Härte gegen die Sprüher vor, doch alle Gegenmassnahmen hatten wenig Erfolg und so dauert die «Revolution der Farben» bis heute an.

In meiner Strasse wohnten einige der bekanntesten Sprüher von München. Unter anderem auch Boxer. Durch ihn kam ich in die Szene. Er versprach mir: «Ich führe dich in die wahren Kreise des Graffiti ein.» Das tat er dann auch. Schnell lernte ich und wurde richtig gut. Graffiti gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, denn keiner konnte, was ich konnte.

Haben sich damit deine Sehnsüchte erfüllt?

Meine erste grosse Liebe hatte mir den Laufpass gegeben. Diese Verletzung war für mich der Auslöser, richtig mit Drogen anzufangen. Und ich stürzte mich noch mehr ins Sprühen.

Ich war kein «No Name» mehr und in der Graffiti-Szene bekannt und geachtet.

Wie gesagt, die Identitätsfrage war für mich schon ganz früh ein grosses Thema, und nun hatte ich eine. Ich war 19, als ich mich tätowieren liess – auch ein Schritt, um richtig dazuzugehören.

Der Fantasie freien Lauf zu lassen und kreativ zu sein, machte mir Freude; ich entwickelte eine regelrechte Leidenschaft für Buchstaben, obwohl ich wegen meiner Legasthenie Schreiben und Lesen eigentlich hasste. Jedes Graffiti-Magazin druckte was über uns. Den Respekt, den ich in der Szene bekam, steigerte mein Selbstbewusstsein enorm und ich wurde immer besser. Doch trotz dem ganzen Fame blieb die innere Leere.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 01/2021.