Andersartigkeit – eine Bereicherung oder Bedrohung?
Rudi Bork
1. August 2019

«Ich gehe davon aus, dass du dir regelmässig die Zähne putzt.» Der Satz stammt nicht von einem Zahnarzt oder aus einer Werbung für Zahnhygiene. Er gehört zum Dialog einer Episode aus der englischen TV-Erfolgsserie «Doc Martin». In der Szene kommt es nach einer langen Annäherung zum ersten Kuss zwischen den beiden Hauptfiguren Doktor Martin Ellingham und der Lehrerin Louisa Glasson. Der zärtliche Kuss und jegliche Romantik werden jäh beendet von der kühlen Feststellung Martins. Der völlig überraschten Louisa wird klar, dass sie unter Mundgeruch leidet, den Martin medizinisch nüchtern zur Sprache bringt. Mit der Konsequenz, dass die entrüstete und zutiefst verletzte junge Frau ihren Freund wutentbrannt stehen lässt. Zwischen den beiden herrscht fortan «Eiszeit» in der Beziehung.

Entstehung und Vermeidung von Konflikten

Diese nur wenige Minuten dauernde Sequenz ist bemerkenswert, offenbart sie doch viel Lehrreiches über die Entstehung und Vermeidung von Konflikten. Streitpotenzial schlummert überall. In einer gefallenen Welt treffen wir auf verschiedenste Ursachen für Differenzen. Sie begegnen uns in der Ehe, in der Familie, am Arbeitsplatz und auch in der Gemeinde. In langen Freundschaften kann es plötzlich zu Uneinigkeit kommen. Jeder kennt Spannungen in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Die christliche Gemeinschaft, die aus Menschen besteht, macht da keine Ausnahme. Gemeinde ist keine konfliktfreie Zone. Auch unter Christen gibt es spürbare Reibungsflächen. Wenn bestehende Konflikte bewältigt und künftige Spannungen vermieden werden sollen, dann müssen wir nach den Ursachen der Auseinandersetzungen fragen.

Am bedauerlichen Eklat zwischen Martin und Louisa werden die Ursachen für die Eskalation offensichtlich. Zwei Menschen, die sich attraktiv finden und sehr mögen, treffen aufeinander.

Leider endet die liebevolle Begegnung in einem bedauerlichen Fiasko. Wie ist so etwas möglich? Die positiven Gefühle füreinander heben die bestehenden Unterschiede nicht einfach auf. Der kulturelle, soziale und familiäre Hintergrund sowie Persönlichkeitsmerkmale, Wesensunterschiede und der gewohnte Umgang mit Herausforderungen sind nachhaltig prägend für jeden Menschen. In allen Beziehungen prallen daher in der Regel Welten aufeinander.

Martin Ellingham ist in einer gefühlskalten Arztfamilie aufgewachsen. Dort war kein Platz für Gefühle. Medizinische Kompetenz und beruflicher Erfolg standen von Kindesbeinen an im Vordergrund seiner Erziehung und Beziehungen. Als Mediziner ist Martin klare Fakten, scharfe Diagnosen und zielführende Therapien gewohnt. Louisa Glasson hingegen ist eine warmherzige und empathische Lehrerin mit gesunden romantischen Empfindungen. Sie möchte als Lehrerin die Herzen ihrer Kinder und das Vertrauen der Eltern gewinnen.

Diese Hintergründe und Unterschiede brechen bei besagtem Kuss auf. Louisa schwebt emotional im siebten Himmel. Martin stellt als gewissenhafter Mediziner ihren auffallenden Mundgeruch fest – für eine gepflegte Person wie Louisa eher untypisch. Also folgert er eine mögliche ernsthafte Erkrankung ihres Magens oder ihrer Speiseröhre. Seine Sorge um Louisas Gesundheit führt zu dem verhängnisvollen Satz. Die junge Frau empfindet dabei jedoch keinerlei Fürsorge, sondern fühlt sich lieblos, gefühllos und taktlos überführt und blossgestellt. Aufgrund der herben Ernüchterung und Enttäuschung kommt es leider zu keinem (er)klärenden Gespräch. Denn Louisa möchte nur noch schnell aus dieser für sie peinlichen Lage.

Was ist der Lerneffekt aus diesem Dilemma?

Menschen nehmen Dinge unterschiedlich wahr

Leute können dieselben Fakten sehen und hören und dabei doch zu völlig anderen Schlussfolgerungen kommen. Die Tatsache menschlicher Unterschiedlichkeit sollte erkannt und anerkannt werden. Wenn jeder vom anderen ausschliesslich die eigene Sicht auf die Dinge erwartet, dann wird das unweigerlich zu Konflikten führen. Anders ist anders. Anders ist nicht immer verkehrt. Andersartigkeit ist gewollt, gut und wertvoll und sollte als bereichernd angenommen werden. Wir müssen lernen, mit unserer Verschiedenartigkeit richtig umzugehen. Gottes Wort ermuntert uns dazu: «Darum nehmt einander an, gleichwie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes!» (Römer 15,7).

Eine andere Sicht, Beurteilung und Bewertung der Dinge kann horizonterweiternd sein. Kürzlich hörte ich den Satz: «Alles, was dich irritiert, hat die Gelegenheit, dich vorwärtszubringen.» Denn das Irritierende fordert zum Nachdenken heraus. Das kann zu völlig neuen Einsichten führen und bewahrt vor Einbahnstrassen im Denken und Handeln.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 08/2019.

 


MEHR ZUM THEMA
«Konflikte umgehen, oder mit Konflikten umgehen» an der kommenden Wochenendbibelschule (WoBi)

28. September in Zürich, Novotel Zürich, Airport Messe,
Lindbergh-Platz 1, CH-8152 Glattpark-Opfikon
mit Rudi Bork und Johannes Vogel

Anhand der Bibel möchten wir lernen, verständnisvoll miteinander umzugehen. Im Grunde sind die Regeln zur Überwindung und Vermeidung von Konflikten in Beziehungen recht simpel: Respektiere die Sicht- und Verhaltensweisen anderer, akzeptiere andere Bedürfnisse, kontrolliere deine Emotionen, sprich aus, frage nach, höre zu und lerne. Kommen Sie vorbei – wir freuen uns auf Sie! Anmeldung und weitere Infos unter: https://bibel-center.de/termine/wobi-3-zuerich-2019/