Wer bestimmt wirklich mein Denken und Handeln?
Nicola Vollkommer
8. Februar 2024

Seit meiner Kindheit lese ich die Bibel, kenne ihre Geschichten in- und auswendig, finde in ihren Seiten Mut für herausfordernde Zeiten, Trost in Trauer, Hoffnung, wenn alles um mich herum zerbricht. Just wenn ich denke, es gäbe in diesem Buch nichts mehr zu entdecken, lese ich eine bekannte Passage und habe wieder das Gefühl, sie zum ersten Mal in meinem Leben entdeckt zu haben. Das sollte uns nicht überraschen, denn wir haben es hier nicht mit irgendeinem Buch zu tun, sondern mit einem Buch, das lebt! Seine Inhalte gehen zurück bis in die Anfänge der Weltgeschichte und bleiben trotzdem zu jeder Zeit brandaktuell. Verankert in den Banalitäten des Alltags und doch zeitüberspannend. Schonungslos in der Schilderung der Abgründe dieser verlorenen Welt, aber dringlich in der Aufforderung, von einer anderen Welt her zu leben. Gefangen in der Zeitlupe eines vergänglichen Systems, aber von der Unvergänglichkeit einer ewigen Realität angetrieben.

Die Bibel ist eine Chronik des zeitlosen Kampfes zwischen zwei Welten – Gottes himmlischer Welt und seiner geschaffenen Welt, deren erste Bewohner schon am Anfang der Zeit die Fürsorge ihres Schöpfers mutwillig mit Füssen traten und sich selbst zu Göttern machten. In jeder neuen Generation wird seither Gottes Plan, seine gebrochene Schöpfung zurückzuerobern, neu inszeniert. Die Akteure haben verschiedene Namen, sprechen verschiedene Sprachen, leben in verschiedenen Zeiten und Kulturen. Mal sind es Kain und Abel, mal Pharao und Mose, Gideon und die Midianiter, David und Saul, Elia und Ahab, Mordechai und Haman, Daniel und Nebukadnezar, Johannes der Täufer und Herodes, Paulus und die jüdischen Behörden. Manchmal findet das Ringen innerhalb des Volkes Gottes statt. Der Kampf bleibt aber immer derselbe: Licht gegen Finsternis, Himmel gegen Hölle, Leben gegen Tod, Gott gegen den Teufel.

Der Kampf um unsere Seele

Dieser Kampf spielt sich auch in jeder menschlichen Seele ab. In seinem Brief an die Römer klagt der Apostel Paulus: «denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus ... denn ich weiss, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt» (Röm. 7,15). Auf den ersten Blick scheint es ein ungleicher Kampf zu sein. Denn dieser Feind hat alle Vorteile auf seiner Seite. Wir sind gefallene Wesen. Der Drang, selbst Gott zu sein und nur den eigenen Trieben und Wünschen Rechenschaft schuldig zu sein, ist tief in unserer menschlichen Genetik verankert, so tief, dass es den meisten gar nicht bewusst ist. «Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht vom Vater, sondern ist von der Welt», warnt Johannes in seinem Brief an die ersten Christen (1. Joh. 2,16). Von diesen Begierden getrieben, schlägt man sich durch, so gut man kann, scheut keine Mühe, um die Nummer Eins zu sein, nicht negativ aufzufallen, das Gesicht zu wahren, sich mit den bunten Spielsachen und schrillen Vergnügungen dieser Welt abzulenken, dafür notfalls über Leichen zu gehen, um den schauderhaften Gedanken an die eigene Vergänglichkeit zu verdrängen. Wir biedern uns den Menschen an, von denen wir uns Vorteile versprechen, schwimmen mit dem Strom, sind jedem Trend, jeder Mode, die eine korrupte Gesellschaft aufwirft, schutzlos ausgeliefert. Wir sind Sklaven eines Weltsystems, das sich seelisch, moralisch und geistlich im freien Fall befindet, auf der Überholspur direkt in die Hölle.

Die Symptome sind nicht immer dramatisch – im Gegenteil, sie erscheinen oft ganz normal und harmlos. Die kleine Lüge oder die fadenscheinige Ausrede, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, weil du nicht ans Telefon gehen willst oder keine Lust auf den Termin hast. Die Übertreibungen hier und da, um besser dazustehen, als man wirklich ist, und einen guten Eindruck auf die Zuhörer zu machen. Lästern über andere in der Hoffnung, von eigenen Defiziten abzulenken. Dinge kaufen, die du dir nicht leisten kannst, um mithalten und andere beeindrucken zu können. Menschenfurcht, die auch vor den Türen unserer Kirchen und Gemeinden nicht Halt macht. Wie gerne stellen wir unser gut geratenes Leben, unsere gelungene Frömmigkeit zur Schau, um anderen zu beweisen, dass wir in Ordnung sind und dass auch Gott uns toll findet. Wie gerne kehren wir die Schattenseiten unseres Verhaltens unter den Teppich. Hoffen, dass niemand mitbekommen hat, wie wir kurz vor dem Gottesdienst im Auto die Kinder angeschrien oder uns mit dem Ehepartner gestritten haben. Wir sind belehrend und rechthaberisch im Umgang mit anderen.

Wie oft schweigen wir, wenn wir Flagge zeigen sollten – wenn der Kollege gemobbt wird, wenn Unwahrheiten über den Chef oder den Pastor verbreitet werden.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 02/2024