Eine vaterlose Gesellschaft steht vor dem Abgrund – auch wenn der Zeitgeist etwas anderes behauptet. Fehlt ein Elternteil, fehlt Grundlegendes.
Thomas Lange
21. Juli 2022

Es drängt sich der Gedanke auf, dass in unserer Gesellschaft eine sehr gefährliche Auffassung grassiert: Väter sind entbehrlich. Verlässt die Mutter die Familie, ist das eine Katastrophe, geht der Vater, ist es zwar auch schlimm, aber irgendwie zu verschmerzen.

Die Zahl der Haushalte, in denen der männliche Elternteil aus verschiedenen Gründen abhanden gekommen ist, nimmt rasant zu. Immer mehr Kinder sind «vaterseelenallein»! Jemand schrieb mal: «Der Vatermorgana heisst so, weil er nur selten zu sehen ist.»

Man könnte über dieses Wortspiel lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. In Kindergärten, Schulen und Freizeitbeschäftigungen fällt auf, wie oft der Papa fehlt. Alleinerziehende Mütter stellen mittlerweile einen hohen Prozentsatz der Familienform in unserem Land.

In einem Andachtsbuch las ich Folgendes: «Neulich, in einer Gruppe von Jungen im Alter von 12 bis 14 Jahren, erzählte einer von ihnen von seinem Vater, den er nur als Alkoholiker und herumschreienden Mann in Erinnerung hatte. Normalerweise sind diese Jungen immer unruhig und können nur sehr schlecht zuhören, aber als dieses Thema angesprochen wurde, war mit einem Mal Totenstille. Nacheinander erzählten plötzlich einige von ihren eigenen Vätern: Viele hatten gar keinen Kontakt mehr zu ihm, weil er von der Mutter getrennt lebte, oder Ärger und Streit bestimmten die Stimmung in der Familie. Man konnte spüren, wie verletzt die Seelen dieser Jungen waren und wie sehr sie sich einen richtigen Vater wünschten.

In jungen Jahren ist es so unendlich wichtig, Eltern zu haben, denen man vertrauen kann und die Vorbilder sind; aber leider sind heutzutage viele Kinder vaterlos. Tief im Inneren ist Verletzung, Bitterkeit und Schmerz, und so bleiben Kinder durch den Egoismus der Eltern auf der Strecke. Eine dauerhafte Beziehung, geschweige denn eine stabile Ehe ist undenkbar geworden, weil viele Angst vor der Verbindlichkeit haben. Sie fürchten, wieder enttäuscht zu werden. Wem kann man wirklich noch vertrauen? Wer lässt einen nicht einfach im Regen stehen?»1

Gebrandmarkte Kinder, verletzte Seelen und verwundete Herzen. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmasses! Vaterlose Familien bilden später eine vaterlose Gesellschaft. Und eine solche steht am Abgrund. Ein Stoss, und sie fällt ins Bodenlose.

Im Stich gelassen

Während die Vaterlosigkeit zunimmt, steigt auch die Zahl der Straftäter rasant an. Zwischen diesen beiden Dingen besteht ein Zusammenhang. Umfragen in Gefängnissen treiben einem die Tränen in die Augen. Sie zeigen, dass ein Grossteil der Inhaftierten Männer keine intakte Familie hatte.

1 «Leben ist mehr – Impulse für jeden Tag»; CLV, Andacht vom 15.05.19

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 08/2022