Ehe als Tauschware, Ehe ohne Trauschein. Eine befreiende biblische Sicht.
Nicola Vollkommer
13. Januar 2019

Als Teenager in einem Mädcheninternat trällerte ich in jeder freien Minute die Hits der berühmten schwedischen Popgruppe ABBA. In den paar kostbaren Stunden an den Wochenenden, in denen wir Musik hören durften, drehten wir die flotten Rhythmen von «Dancing Queen» auf maximale Lautstärke und tanzten wie die wilden Furien, bis eine genervte Hausmutter ihren Kopf um die Tür steckte und laut brüllte: «Turn that dreadful music down!» («Dreht diese schreckliche Musik herunter!»). Als die beiden singenden Traumpaare ihre Trennungen bekannt gaben und die ABBA-Idylle plötzlich aus war, war ich traumatisiert. Bis heute steigt mir ein Kloss in den Hals, wenn ich den Videoclip von ABBA’s letztem grossen Hit anschaue: «The Winner takes it all» («Der Gewinner sahnt alles ab»). Die von Tränen gefüllten blauen Augen von Sängerin Agnetha Fältskog blicken melancholisch in die Kamera, während sie Worte singt, die in jedem gebrochenen Herzen qualvoll nachklingen müssen:

«But tell me does she kiss
Like I used to kiss you?
Does it feel the same
When she calls your name?»

(Aber sag mir doch, küsst sie dich so, wie ich dich geküsst habe? Wenn sie deinen Namen nennt, ist es so wie damals, als ich deinen Namen nannte?)

Seelische Wunden

Authentisch, herzzerreissend. Der Videoclip wurde millionenfach aufgerufen. Die Sängerin protokolliert in Echtzeit ihr eigenes Liebes-Aus. Die Vorstellung, dass ihr vermeintlich exklusiver Platz im Herzen eines Mannes, auf dessen Liebe sie ihr Leben gebaut hat, nun von einer anderen besetzt ist. Die Weinkrämpfe nachts beim Gedanken, dass er Bett, Seele und Zärtlichkeiten mit einer anderen teilt, während sie in ihrer Suche nach Glück von vorne wieder anfangen muss. Jede Menge schmerzhafter Erinnerungen, das Gefühl, über den Tisch gezogen zu sein:

«I was in your arms,
thinking I belonged there»
(Ich lag in deinen Armen, dachte, ich gehöre dorthin
.)

Ein blutendes Herz – genau wie eine blutige Wunde im Körper – schlägt Alarm, dass irgendetwas im Betriebssystem defekt ist. Die Bibel erklärt, wo der Fehler liegt: Gemäss Gottes Plan haben die zwei Wörter «Sex» und «Beliebigkeit» nichts miteinander zu tun. Der biblische Begriff «ein Fleisch» bedeutet genau das: Aus zwei Menschen wird einer. Zwei Seelen und zwei Körper ineinander verschmolzen. Ein Herz auf zwei Körper verteilt. Am Boden zerstört, wenn diese – ob nach einer «Ehe ohne Trauschein» oder nach Beendigung einer «Ehe mit Trauschein» – auseinandergerissen werden, mögen die Gründe auf den ersten Blick noch so nachvollziehbar erscheinen. Manche kommen darüber hinweg, finden eine neue Liebe, scheinen es zu verkraften, zumindest nach aussen hin. Manche nicht. Agnetha, mein Teenager-Idol mit der Engelsstimme, verbrachte ihre besten Lebensjahre in Zurückgezogenheit auf einer Insel mitten auf einem See in Schweden.

Die Exklusivität einer sexuellen Beziehung ist Gottes kraftvollstes Bild für seine Treue den Menschen gegenüber, die er in seinem Bild geschaffen hat. Die Fremdgänge dieser Menschen tun ihm unendlich weh und nehmen viele Kapitel im Wort Gottes in Anspruch. Kein Wunder, dass Gottes Herz besonders für diejenigen schlägt, die verraten, verwaist und verstossen sind. Kein Wunder, dass einige seiner eifrigsten Anhänger Frauen «mit Vergangenheit» waren (Rahab, Hagar, Maria Magdalena, die Samariterin, die Ehebrecherin), dass sein Herz für die «Witwen und Waisen» (u. v. a. Jak. 1,27; Jes. 1,17; 2. Mose 22, 21–24; 1. Tim. 5,5) leidenschaftlich schlägt.

In unserer Zeit der moralischen Zügellosigkeit kommt kaum jemand, ob Mann oder Frau, zum Glauben ohne ein Paket von sexuellen Verletzungen im Schlepptau. Scheidungen, leichtfertig geschlossene Ehen, die bald zerbrechen, eheähnliche Beziehungen, die in Streit und Auseinandersetzungen enden, Kinder, die mit nur einem Elternteil oder mit wechselnden Elternteilen aufwachsen. Der Normalfall heute.

Vergebung und Wiederherstellung

Aus diesem Grund muss eine Betrachtung zum Thema biblische Sexualität mit der Verheissung Gottes beginnen, dass es in seiner Nähe für jeden Menschen Heilung und einen Neuanfang gibt, der seine Fehltritte, auch in diesem Bereich, bereut und bei Gott Vergebung und Wiederherstellung sucht. Gott schenkt zudem noch Gnade und Kraft, um die Folgen leichtfertig eingegangener sexueller Beziehungen mutig zu tragen und aus ihnen Lehren zu ziehen.

Zu dieser Heilung gehört auch der Beschluss, es in Zukunft anders zu machen. Logisch: Jedes Leben bringt Enttäuschungen und Rückschläge mit sich, allem voran in zwischenmenschlichen Beziehungen. Einen wasserdichten Schutz gegen seelische Schrammen und Blessuren gibt es nicht. Wenn jemand mir aber aufgrund dieser Tatsache weismachen will, dass Schutz bietende biblische Werte überholt sind, denke ich an meine Freunde, die alles geben würden, um von vorne anfangen zu können und Sex nach Gottes Spielregeln zu erleben. Nicht als die Befriedigung eines Triebes, sondern als die freudige, lebenslange Krönung auf gemeinsame gelebte Werte und auf den Beschluss, mit einem Partner oder einer Partnerin den Lebensweg bis ans Ende zu gehen. Und der Beschluss, sexuell enthaltsam zu leben, bis dieser Partner oder diese Partnerin erscheint.

Kann denn Liebe Sünde sein?

Auch in kirchlichen Kreisen, die jahrelang Bollwerke Schutz bietender biblischer Werte waren, höre ich immer wieder Argumente gegen sexuelle Enthaltsamkeit vor oder ausserhalb der Ehe. Immer wieder muss ich schwer schlucken. Hier eine kleine Kostprobe und einige Denkanstösse dazu.

«Experimente mit Sex, wilde Ehe und so – finde ich als Christ nicht gerade empfehlenswert, aber alles nicht so schlimm. Hauptsache, die Richtigen finden irgendwann ihren Weg miteinander. In der Bibel waren es doch andere Zeiten. Patriarchat, keine Verhütung, Frauen noch nicht emanzipiert und so ...»

Die Bibel nennt jeden Sex ausserhalb des lebenslangen Ehebundes zwischen Mann und Frau (Ehebruch, Unzucht) «Sünde». In der Bibel ist klar, was damit gemeint ist. Geschlechtsverkehr ist die gegenseitige emotionale und körperliche Vereinnahmung zweier Menschen in ihrer Gesamtheit – die nur in einer stabilen und verpflichtenden Beziehung bestehen und gesund sein kann. Unabhängig von Fragen der Verhütung, Emanzipation, Patriarchat: Die menschliche Natur mit ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit hat sich nicht geändert. Wenn Gott «nein» sagt, dann nicht, weil er ein Spielverderber ist, sondern weil er gebrochene Herzen verhindern will.

«Es ist kein heilsrelevantes Thema – das gibt Raum für verschiedene Interpretationen.»

Wirklich? Wer folgende Bibelstellen (und viele weitere) liest, muss eine bunte Fantasie anwenden, um auf andere Interpretationen zu kommen: 1. Kor. 7,2; Hebr. 13,4; Apg. 15,19–20; 1. Kor.  5,1; Gal. 5,19–21; 1. Thess. 4,3–5; 1. Kor. 7,8–9; 1. Mose 2,24–25; 1. Kor. 6,18–20. Siehe auch die Geschichte von Josef (1. Mose 39), Hiobs Streben nach Reinheit (Hi. 31,1), Jesus’ Verschärfung der Thora-Bestimmungen zu Sexualität (Matth. 5,28), Josef und Marias Reinheit vor der Ehe (Matth. 1,25).

«Sexuelle Enthaltsamkeit kann man heutigen jungen Menschen nicht zumuten. Sie müssen so lange studieren. Sie können sich eine Hochzeit oft nicht leisten.»

Seit wann können Studierende nicht heiraten? Oder zu zweit in einer bescheidenen Mietwohnung leben? Zu allen Zeiten der Geschichte haben Menschen sexuelle Enthaltsamkeit ausserhalb der Ehe als zwingende Tugend gesehen, auch und gerade in hedonistischen, sexbesessenen Gesellschaften. In der Kirchengeschichte war dies schon immer für Nachfolger Christi selbstverständlich, Lebensumstände hin oder her. Ausserdem muss eine Hochzeit keine teure Staatsgala sein, auf die man jahrelang sparen muss.

«Heute haben wir Verhütung, Pille usw. – keine Gefahr einer Schwangerschaft. Die Jugendlichen sollen doch ihren Spass haben und ihre Erfahrungen machen.»

Mit dem Argument wertet man Sex als Zeitvertreib oder Hobby für langweilige Jugendstunden an, etwa wie Skifahren oder Snooker. Das ist ein Skandal sondergleichen. Das Trauma nach dem Bruch einer intimen Beziehung hat mit Spass nichts mehr zu tun und hat zum Teil weitreichende negative Folgen für das ganze Leben. Auch mit der effektivsten Verhütung kann eine Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden. Darauf folgt für viele junge Frauen die Misere einer Abtreibung, das Auslöschen eines unschuldigen Lebens, eventuell gesundheitliche Folgen, Spannungen in einer Partnerschaft, die nur auf dem Lustprinzip basiert. Sobald Sex primär als austauschbare Ware und als Befriedigung eines momentanen Triebes praktiziert wird, steuert er für alle Beteiligten in ein potenzielles Desaster.

«Sex muss geübt werden – junge Leute müssen Erfahrungen sammeln.»

Die einzige «Erfahrung», die viele sammeln, ist ein gebrochenes Herz, eine Abscheu gegen Sex, v. a. bei vielen Frauen, und schmerzvolle Erinnerungen, die in jede neue Beziehung importiert werden. Ausserdem ist zu bezweifeln, ob eine Braut bzw. Bräutigam einen Freudensprung macht, wenn der zukünftige Partner oder die zukünftige Partnerin ihre vielfältigen sexuellen Erfahrungen auflistet. Sex ist keine Kompetenz, die man meistern muss, sondern das Siegel auf ein öffentliches Treuegelübde zwischen zwei Menschen, die im Vorfeld sorgfältig geprüft haben, ob sie gemeinsam durchs Leben gehen wollen, «bis, dass der Tod uns scheidet». Lebenslange Treue ist nicht etwas, was man vorher «ausprobiert». Sie ist etwas, wozu man sich nach langem und gründlichem Prüfen verpflichtet. Gefühle der Verliebtheit verfliegen schnell. Gemeinsame Werte, auf denen man ein Leben baut, nicht.
«Wie ungnädig Ihr seid – Liebe kann doch nicht falsch sein.»

Ungnädig, Menschen vor Schaden zu warnen? Ungnädig ist es, intime Beziehungen einzugehen ohne jegliche Verantwortung. Das hat mit Missbrauch und Selbstsucht zu tun, nicht mit Freiheit oder Liebe. Liebe ist nicht das Ausleben von egoistischen Trieben, sondern die Hingabe an einen anderen Menschen (seine/ihre ganze Person), in guten wie in schlechten Zeiten, mit oder ohne Lust und Triebe. Agnetha Fältskog wieder dazu:

«But I was a fool
Playing by the rules ...»
(Ich spielte nach den Regeln, ich war dumm.)

Nein, dumm war sie nicht. Ihre Sehnsucht nach Treue war normal. Die Regeln, nach denen sie spielte, waren die, die Gott verordnet hat.

«Der Trauschein ist nur ein Stück Papier.»
Wirklich? Genauso wie ein Arbeitsvertrag? Oder ein Testament? Oder der Grundbucheintrag für eine Immobilie? Wer es so sieht, soll besser gar keine Verträge unterzeichnen!

«Wir haben es sowieso vor, zu heiraten.»
Dann heiratet! In eine sexuelle Beziehung hineinzustolpern und hinterher der Salonfähigkeit wegen zu heiraten, ist ein denkbar schlechtes Fundament für eine Ehe. Wer in eine Beziehung «hineinschlittert», läuft Gefahr, in weitere Beziehungen «hineinzuschlittern». Die Zeit der sexuellen Abstinenz vor der Ehe ist die wichtigste Vorbereitung für die Treue, auch in schlechten Zeiten, in der Ehe. Ein Auto kann man leasen, ausprobieren und dann behalten, wenn es keine Einwände gibt, oder aus Bequemlichkeit. Einen Menschen nicht.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 01/2019.