Das Ausmass des Ostergeschehens und dessen Aktualität für unser Leben
Nicola Vollkommer
15. März 2024

Jedes Jahr, wenn Ostern seine Schatten vorauswirft, überkommt mich ein Gefühl der Ehrfurcht und ein tiefes Verlangen, dass mich dieses monumentale Ereignis, das immerhin die Weltgeschichte in zwei Teile gespalten hat, tiefer bewegen möge. Keine der zahlreichen Verfilmungen der Passionsgeschichte kann auch nur annähernd die Dramatik und den Schrecken der Ereignisse jener Tage wahrheitsgetreu wiedergeben. Mit euphorischen Hosianna-Rufen wird ein König von verehrenden Anhängern in die Metropole hineingeführt, wo seine Thronbesteigung bald ein lang ersehntes goldenes Zeitalter einläuten soll.

Kurz danach eine lähmende Schockstarre bei allen, die ihre ganze Hoffnung auf ihn als den verheissenen Messias gesetzt hatten. Wie schnell die Stimmung kippen kann! Horrorszenarien entfalten sich in rascher Abfolge vor ihren Augen. Er wird sich wehren, nicht wahr? Seine übernatürlichen Kräfte entfesseln, seine Feinde zerstreuen, jetzt wäre der ideale Zeitpunkt dafür! Die ganze Welt ist zum Pessachfest in Jerusalem versammelt. «Komm, Jesus, wir wissen, wer du bist, was du kannst, zeig es jetzt deinen Feinden! Die Weltbühne wartet auf dich.» So stelle ich mir die Gedanken seiner Freunde und Anhänger vor.

Fehlanzeige

Es folgt Schlag auf Schlag. Die Nacht-und-Nebel-Aktion im Garten Gethsemane, der Kuss des Verräters. Jesus wird von einem lächerlichen Verhör zum nächsten geschleppt. «Das kann doch nicht wahr sein, das ist doch alles Puppentheater, jeder weiss, dass dieser Mann unschuldig ist!» Und er wehrt sich nicht. Gut, das hat Tradition. Er ist bekannt für seine Überraschungen in letzter Minute. Er wartet wohl, bis es zu spät ist, um dann ein Fünf-Sterne-Wunder der Sonderklasse zu vollbringen. Wie bei der Auferstehung seines Freundes Lazarus. Maximale Wirksamkeit.

Aber diesmal tut er es nicht. Die römischen Soldaten, in Feierabendlaune, lachen sich kaputt, während sie ihn verspotten. Es kommt noch schlimmer. Die messerscharfen Metallspitzen der römischen Peitsche zerfleischen seine Schulter. Die Obrigkeiten hoffen, dass dies ausreicht, um den aufgebrachten Anti-Jesus-Mob zu besänftigen. Bei jedem Peitschenhieb zuckt er zusammen, aber wehrt sich nicht. Was ist los mit ihm? Wo sind die schlagfertigen verbalen Retourkutschen geblieben, mit denen er seine Anhänger zum Schmunzeln und seine Gegner zum wütenden Schweigen brachte? «Na komm doch, König, auch unser Schicksal hängt daran – denk auch an uns! Wir haben alles auf eine Karte gesetzt – gerade eben waren wir mit unseren Hosiannas dem Ziel so nah. Ein Land frei von den römischen Faschisten, das messianische Zeitalter, auf das wir alle hingefiebert haben!»

Zerbrochene Träume

Dumpfe Hammerschläge. Scharfe Nägel bohren sich in seine Handgelenke, Blut spritzt, Schmerzensschreie. Spätestens jetzt dämmert es den Anhängern Jesu: Es gibt keinen Gegenschlag in letzter Minute. Die zehntausend Engel, die in Bereitschaft stehen, um den Sohn Gottes aus dieser Hölle zu retten (Matth. 26,53), werden nicht gerufen. Das Schwert, das Petrus so kühn zur Verteidigung des Messias gezückt hatte, bleibt in der Scheide. Neue Gedanken treiben durch die Köpfe der gestrandeten Jesus-Nachfolger.

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