Die berühmte «Psyche», das Mass an innerer Ruhe und Gelassenheit, spielt die entscheidende Rolle bei der Stressbewältigung. Dabei hilft die «Grundregel der drei grossen A».
Dr. Wolfgang Vreemann
21. April 2022

Ein Arzt soll etwas über Stress schreiben. Was erwarten Sie? Wahrscheinlich einige Informationen zu Bluthochdruck, Burnout, Herzinfarkt; zusätzlich Hinweise auf Ursachen, Folgen und Prävention. Gewiss, in meinem Fachgebiet (der Inneren Medizin) spielen diese Zusammenhänge eine recht grosse Rolle. Aber eines dürfen wir nicht tun: Stress und andere krankmachende Faktoren auf rein körperliche Aspekte begrenzen. Der Mensch ist nun einmal ein Geschöpf Gottes und damit eine untrennbare Einheit aus Geist, Seele und Leib. Was die Organe schädigt, belastet auch die Psyche – und umgekehrt.

Ein elegant gekleideter, sportlicher junger Mann, Mitte 30, erscheint in meiner Sprechstunde. Er beklagt sich über Herzbeschwerden und bringt auch sofort seine eigene Verdachtsdiagnose mit: berufliche Überlastung. Als erfolgreicher Abteilungsleiter eines grossen Unternehmens wurde der persönliche Arbeitseinsatz von Jahr zu Jahr höher. Noch bevor die Ergebnisse einer ausführlichen internistischen Untersuchung vorliegen, bittet er mich um eine gezielte Therapie zur Stressbewältigung. Er fühlt sich total ausgebrannt. Seine Frau und seine beiden Söhne sieht er kaum noch, die Ehe befindet sich offenbar in einer Krise. Was stellt sich heraus? Der Mann leidet unter Herzrhythmusstörungen bei sonst gesunden inneren Organen. Aber – was viel schlimmer ist – es besteht eine handfeste Erschöpfungsdepression, die dringend behandelt werden muss. Nach einigen Monaten geht es besser, die Rhythmusstörungen haben nachgelassen, der Arbeitsalltag verläuft ruhiger und es bleibt wieder mehr Zeit für die Familie. Das Problem scheint gelöst, bis er eines Abends völlig unvorbereitet in seiner halb leeren Wohnung steht: Ehefrau und Kinder sind ausgezogen, sie hat «einen anderen», und das schon seit vielen Monaten. Eine menschliche Katastrophe und dazu einige neue Stressfaktoren, fast eine Kette ohne Ende ...

An dieser Stelle ist wohl jedem klar: Unsere Stressdiskussion lässt sich auf keinen Fall allein auf die körperlichen Beschwerden beschränken, sonst begehen wir einen schwerwiegenden Fehler und übersehen entscheidende Zusammenhänge eines ganzheitlichen biblischen Menschenbildes.

Was bedeutet eigentlich «Stress»?

Ursprünglich konnten unsere Vorfahren Stressreaktionen ganz gut gebrauchen, wenn sie als Jäger oder Sammler durch die Urwälder zogen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es war an der Tagesordnung, dass auch einmal ein Bär oder ein anderes Raubtier den Menschen angriff. Um dabei nicht selbst zur Beute zu werden, musste sich der Steinzeitmensch schon effektiv zur Wehr setzen oder schnell fliehen können. Das bedeutete in einer solchen Situation: volle Konzentration, Einsatz aller Sinne, Höchstleistungen des gesamten Organismus innerhalb von Sekunden. In kürzester Zeit wird die Herzfrequenz erhöht, der Blutdruck steigt an, das Gehirn arbeitet schneller, die Muskeln werden besser durchblutet, ihre Spannung und Kraftentfaltung steigen, die Pupillen erweitern sich (das Gesichtsfeld wird grösser!), Darm- und Harnblasentätigkeit werden gebremst (wer kann sich in der Situation schon einen Gang zur Toilette leisten?) ... Das alles war in der Steinzeit notwendig, um zu überleben. Aber heute können uns diese Mechanismen belasten und krank machen.

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