Der Mut, echt zu sein.
Nicola Vollkommer
26. Januar 2020

«Zieh die Maske ab, sei authentisch, steh zu dir, sei du selber! Sag der Welt, wie es dir wirklich geht.»

Prinz Harry und seine Gräfin Meghan, aktuelle Superstars der britischen Royals, machten neulich Schlagzeilen mit einem Interview, in dem sie vor laufender Kamera ihre gequälten Seelen hemmungslos lüfteten. Eine Odyssee von Klagen purzelten aus den vor Schmerz zitternden Lippen zweier der privilegiertesten Menschen der Welt. Über Verfolgung der Presse und die endlose Kritik ihres Lebensstils beschwerten sie sich. Vorbei das «stiff-upper-lip» («schweig-und-mach-weiter») der britischen Oberschicht – Masken ab, wir wollen echt sein, lautete die neue Devise. Der

Auftritt wirkte grotesk vor der Kulisse einer afrikanischen Landschaft, in der der Grossteil der Bevölkerung in bitterster Armut lebt. Der erhoffte Beifall für ihre «Authentizität» blieb grösstenteils aus.

Zwei Menschen haben ihre Masken abgelegt. Was war da so falsch daran?  Müssen wir nicht ehrlich sein? Habe nicht auch ich die Pflicht, vor meinen Mitmenschen alles zu lüften, was gerade meine Seele umtreibt?

Meine Umgebung kann froh sein, dass ich das nicht mache. Vielleicht ist an dem guten alten «stiff-upper- lip»-Motto doch was dran. Immerhin verhindert es, dass ich «die Sau rauslasse», meine Umgebung mit seelischem Unrat bespritze und eine ungeniessbare Gesellin für jede Tischrunde werde.

Heisst das also, dass ich vormachen muss, etwas zu sein, was ich nicht bin? Geistlicher, klüger, gesünder, reicher, kompetenter erscheinen, als ich wirklich bin, und schnippisch reagieren, wenn die Maske einmal abrutscht und ich entlarvt werde? Spielchen mit der Heuchelei haben meine Kinder bei mir früh in ihrem Leben durchschaut. Wenn sie etwas anstellen wollten, haben sie gewartet, bis ich am Telefon war. Sie wussten, dass ich für Telefonate meine Ruhe haben wollte und auf keinen Fall ausrasten würde, wenn ein Gemeindemitglied am anderen Ende der Strippe war. Meine «Frau-des-Pastors»-Maske durfte ja nicht verrutschen. Ich hatte es zu einer Kunst entwickelt: Souveräne Gelassenheit auszustrahlen, wenn andere dabei waren, und wie eine Furie zu toben, sobald die Menschen, die ich beeindrucken wollte, nicht mehr da waren. Peinlich.

Authentisch sein, ohne Maske leben, aber so, dass mein Umfeld durch mein transparentes Leben gesegnet und nicht belastet wird: Das wär’s doch! Jeder könnte reinschauen, ohne zu erschrecken, weil das, was drinnen ist, dem entspricht, was draussen sichtbar wird. Ein steiler Anspruch. Wie könnte sowas gehen? Da sind wir bei der Bibel an der richtigen Adresse. Gott hat eine Menge dazu zu sagen.

Das Spiel mit den Masken beginnt

Die ersten Menschen, die sich hinter Masken verbargen, waren Adam und Eva. Diese herrlichen Krönungen der Schöpfung bekamen den Schreck ihres Lebens, als sie zum ersten Mal «sahen, dass sie nackt waren» (1. Mose 3,7). Bis dahin war es kein Problem gewesen. Was war passiert?

Es war viel mehr als der legendäre Biss in eine verbotene Frucht, nämlich ein bewusster, niederträchtiger Vertrauensbruch mit dem Schöpfer, der sie über alles liebte und mit ihnen zusammen das herrliche Kunstwerk «Schöpfung» gestalten und ausbauen wollte.

Mit dem Versprechen, sie würden «wie Gott sein» (1. Mose 3,5), hatte der Feind, der sich in den Garten geschlichen hatte, sie aus dieser engen Bindung herausgelockt. Ihre Augen würden geöffnet werden, hiess es. Wofür, hatte ihr Gegner versäumt, hinzuzufügen: Für die eigene Nacktheit wurden ihre Augen zunächst geöffnet. Der göttliche Schutz, der ihr Lebensglück bis dahin garantiert hatte, war plötzlich weg. Das gefallene Paar ergriff die Flucht und versuchte, seine Scham mit hastig zusammengenähten Feigenblättern zu decken. Damit war die erste Maske erfunden worden.

Der Feind hat ohne zu zögern sein Sortiment an «Feigenblättern» auf eine grandiose Auswahl erweitert. Masken, mit denen jede Seele, die ohne die schützende Nähe ihres Schöpfers auf sich allein gestellt ist, ihre Blösse zu decken versucht, sich zu trösten, sich abzulenken. Durch Gewohnheiten, aus denen Süchte werden, durch das Streben nach Anerkennung und Zuwendung. Durch Freundschaften, Sex, Leistungen, Geld, Statussymbole, teure Klamotten, Klugheit, Rhetorik. Damit verbunden ist der Drang, zu beweisen, dass wir in Ordnung sind und alles im Griff haben. Wir klagen andere an, um von unserer eigenen Schuld abzulenken. Wir umkleiden unser Herz mit einer harten Schale, um nicht verletzt oder abgelehnt zu werden, um ja nicht das Gefühl zu haben, wir seien nicht gut genug.

So wiederholt sich das alte Spiel von Adam und Eva in unendlichen Varianten in deinem, in meinem Alltag. Wie sehr wollen wir wie Gott sein, selber unser Drehbuch schreiben! Koppeln uns von unserem Schöpfer und seinen Verordnungen ab und müssen ernüchtert feststellen, dass wir uns dadurch anderen Göttern ausliefern und anfangen, nach deren zerstörerischen Regeln zu spielen. Die Bibel nennt es «Götzendienst». Der Psalmist warnt davor, dass wir sogar den Götzen ähneln, die wir verehren (Psalm 135,18). Wer kennt nicht jene modernen Wohlstandssklaven, die mit gläsernem und verbissenem Blick die teuren, leblosen Anschaffungen inbrünstig pflegen, die sie mit keinem anderen teilen wollen und die sie nicht mit in die Ewigkeit nehmen können? Und merken nicht, wie arm und freudlos sie dadurch werden? Götzen fressen ihre Verehrer. Und man sieht es diesen an.

Falls ich doch irgendwann zur Erkenntnis komme, dass die Masken dieser Welt nicht glücklich machen, warten zuhauf moderne Ratgeber, die mir für gutes Geld zeigen, wie ich meine Nacktheit mit geschicktem Zureden zudecken kann. Sag dir zehn Mal am Tag vor dem Spiegel, wie schön du bist. Dass Gott dich genau so haben wollte, wie du bist, mit allen Fehlern und ekligen Gewohnheiten. Steh zu dir. Hör auf dein Herz. Lass es dir egal sein, was die anderen denken. So wird die Opferrolle, die vermeintliche Ehrlichkeit über meine Gefühle, das Selbstmitleid, selber zu einer weiteren Maske.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 02/2020.